Volltext: Geschichte der bildenden Künste im Mittelalter: Das eigentliche Mittelalter (Bd. 4 = [2], Bd. 2, Abth. 2)

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Miniaturmalerei. 
für das Grossartigc ist aber der Zeichner von jener starren 
Würde des altehristlichen Styls, welcher die byzantinisi- 
rende Richtung nachstrebte, sehr weit entfernt, es herrscht 
vielmehr das bewegteste Leben. Alle Gewänder sind flat- 
ternd, wie vom Wirbelwinde durchweht, alle Gestalten in 
heftiger Bewegung. Selbst die Körperlänge, welche ihnen 
gegeben ist, trägt dazu bei, ihrer Haltung etwas Schwung- 
haftes zu geben, selbst das Zitternde der Zeichnung er- 
höht den Ausdruck des Erregten. Man fühlt, der Dar- 
steller ist von der gewaltigen Bedeutung der darge- 
stellten Momente selbst erschüttert, er theilt seine Empfin- 
dung ohne den Umweg einer mühsamen Technik in an- 
spruchsloser und naiver Weise mit. Durchweg finden wir 
neue Gedanken. In der erwähnten Bibelhandschrift sind 
am Eingange Mors und Vita dargestellt; aber das Leben 
hat hier geradezu Christi bekleidete Gestalt angenommen 
und der Tod erscheint nackt, getlügelt, von Schlangen um- 
geben. So hat denn diese, auch sonst Wohl vorkommende 
Darstellung die bestimmteste Bedeutung erhalten; Christus 
ist das Leben, die Sünde der Tod. 
Die bekannteste der Handschriften dieses Styls ist die 
durch den Mönch Cadmon verfasste angelsächsische poeti- 
sche [lebersetzung der Genesis und des Propheten Daniel 
in der Bodleyanischen Bibliothek zu Oxford  wahrschein- 
lich um die Mitte des elften Jahrhunderts entstanden. Sie 
gehört indessen vielleicht zu den frühesten, aber gewiss 
nicht zu den vorzüglichsfen Arbeiten dieser Schule und 
wird namentlich von den Zeichnungen in der erwähnten 
Bibelhandschrift und in zwei Psalterierl im brittischen Mu- 
Sßllm 
603 
und 
Cotton. 
Tiber. 
weit 
über- 
a) Waagen a. a. O. II, 27. Facsimiles einiger Zeichnungen sind 
in Dibdin's Decamerone Bd. I bekannt gemacht, wo sich auch p. LXXV 
Proben aus besseren Handschriften finden.
	        
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