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Miniaturmalerei
gar nicht abgesehen, der Gegenstand ist behandelt, wie
wir es in der Arabeske gestatten; es kam dem Künstler
nur darauf an, das Einzelne des wirklichen Hergangs
durch eine symmetrisch oder sonst gefällig angeordnete
Gruppe zur Anschauung zu bringen. Selbst diejenige Rück-
sicht auf eine naturgemässe Anordnung, welche die alt-
christliche und die byzantinisirende Kunst aus der Antike
beibehalten hatten, ist hier verschwunden. Statt ihrer sind
allgemeine, architektonisch-malerische Principien der Sym-
metrie, Harmonie und des Farbenschmucks eingetreten.
In vielen Fällen führte dies allerdings zu einer hand-
Werksmässigen und geistlosen Behandlung, bei der man
sich begnügte, die Hergänge in typischer Form darzu-
stellen und durch Gold- und Farbeuschmuck zu zieren
Nicht selten aber entwickelte sich aus dieser freieren, phan-
tastischen Behandlung auch ein anerkennenswerthes poeti-
sches Element. Ein Beispiel dafür gewährt der mit dem
Namen: Mater verborum bezeichnete, im vaterländischen
Museum zu Prag bewahrte Codex eines lateinischen VVör-
terbrlchs, der, wenn man einem darin enthaltenen Ver-
merke Glauben schenken darf, schon im Jahre 1102 durch
einen böhmischen Maler mit Miniaturen ausgestattet ist,
jedenfalls aber Wohl aus der ersten Hälfte des zwölften
Jahrhunderts stammt 9'654]. Die Malereien bestehen nur darin,
k) Ein datirtes Beispiel hiefür ist das Pontificaie des Bischofs
Otto des Heiligen (1- 1139) in der Bibl. zu Bamberg, Jaeck a. a. 0.
Nro. 1013 und p. XXVIII. Wüiagen K. u. K. W. a. a. O. S. 193.
Vgl. Waagen im D. K. B]. 1850, S. 130. In der letzten Ini-
tiale sind neben der Jungfrau zwei verehrende Mönche dargestellt, die
in Spruchbänrlern als Schreiber und Maler bezeichnet werden. Bei der
den letzten betreffenden Schrift: Ora p. illre. (illuminatore) Miroslav,
ist die Zahl MOII beigefügt. Die "Ungewöhnlichkeit einer solchen Da-
tirilng durch blosse Angabe der Jahreszahl ohne weitere- Beifügung er-
weckt einige Zweifel, ob die überaus kleine Schrift ursprünglich sei