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Miniaturmalerei.
benbehandlung und die Zeichnung der Initialen hat noch im
Wesentlichen den Charakter der karolingischeil Kunst, aber
die Figuren der Evangelisten verrathen die Nachahmung
altchristlicher Typen und das Bestreben nach einer sie
übertreffenden Grossartigkeit. Ihre Thierzeicheil sind noch
strenge und einfach, fast heraldisch; der Engel des Matheus
mit bräunlicher, kräftiger Carnation hat sogar einen recht
gelungenen Ausdruck. Die schreibenden Heiligen, alle vor
einem an zwei Säulen befestigten Vorhange, der stets in
anderer Weise geöffnet ist, sitzend, sind sämmtlich bewegt
gehalten und in verschiedenen Wendungen, die bei den
beiden ersten Evangelisten und bei Johannes noch erträg-
lich sind. Bei Lucas dagegen hat der Maler etwas Aus-
serordentliches leisten wollen; er zeigt ihn gleichsam in
Verzückung, im Profil, mit zurückgelegtem Kopfe, das
übergrosse, dieser Richtung des Hauptes nicht entsprechend
gestellte Auge gen Himmel gehoben, der ganze Körper ist
aber durch diese ungewöhnliche Haltung so verrenkt, selbst
die Linie, Welche er bildet, so unschön gebrochen, dass
das Bild den widerlichsten Eindruck macht, den die Wahl
von blauen, grünen und violetten Farbentöneil, die am
Hintergrunde und im Gewande angebracht sind, noch ver-
stärkt. Und doch muss gerade diese Behandlung Beifall
gefunden haben, da in einem späteren, seiner Behandlung
nach dem Ende des elften Jahrhunderts angehörigen Evan-
geliarium , das die Malereien des ersterwähnten Codex
mit einigen Abweichungen copirt, gerade dieser Lucas ge-
nau wiedergegeben ist, während die anderen Evangelisten
kleine Veränderungen erlitten haben.
i) M. p. theoL. quart. Nro. 4. der Unim-Bibl. zu Würzburg. Die
Farben haben hier nicht mehr die Schönheit und Intensivität, wie in
dem erst erwähnten Codex, die Initialen nicht mehr den karolingischen
Schwung der Linie, ein hinzugefügtes Bild der Verkündigung ist mehr by-
zantinisirend und der sogleich zu erwähnenrlen Bamberger Schule verwandt.