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Irische
Miniaturmalerei
stalten, auf irischen Einfluss schliessen Einen sehr
merkwürdigen Beweis, dass selbst die Irländer wirkliche
Studien nach Vorbildern altchristlicher Kunst machten, und
sie neben ihrer einheimischen Darstellungsweise anwendeten,
giebt ein Evangeliarium, das durch Vermächtniss des
Grafen von Kesselstadt in die 'l'rierer Dombibliothek ge-
langt ist Wk). Nicht bloss die Behandlung der Initialen und
Einralnnungeil, sondern auch die phantastische Gestalt des
'l'etram0rph0s, des Symbols der Evaugelienharmonie, der
als ein Greis mit Engelsfiisseil, aber mit der Haut des
Löwen und Stiers und den Flügeln des Adlers bekleidet
dargestellt ist, sind in Farbenwahl und Zeichnung ganz
und sehr charakteristisch irländisch. Die Gestalten der
Erzengel Gabriel und Michael und die in Medaillons über
den Columnen der vorausgeschickten Canones angebrachten
Brustbilder der Apostel haben dagegen völlig, den Mosai-
kentypus der altchristlichen Kunst, und sind sehr guten
Vorbildern nicht ungeschickt nachgeahmt. Es scheint da-
her, dass Irlänrler, die vielleicht in Italien altcln-istliche
Bildwerke kennen gelernt hatten, hier diesen höheren Styl
annahmen, ohne doch die Formen ihrer einheimischen
Kunstweise, wo sie ihnen angebracht schienen, ganz auf-
zugeben.
Ungeachtet der Abneigung gegen die schematische Be-
handlung der menschlichen Gestalt musste doch die Be-
rührung mit der irischen Kunst einen Einfluss auf die ge-
sammte Miniaturmalerei ausüben. Es lag in ihr, so ab-
stract es auch sein mochte, ein künstlerisches Princip, der
Gedanke einer durchgeführten Regel, einer Harmonie zum
1') Würzburger Univem-Bibl. Ms. perg. theolog. fol. Nro. 69,
Epistolae Pauli. Ms. perg. theol. quart. Nro. 50, Mauricii Senonensis
de S. Missa carmen, und Nro. 1, Evangeliarium.
H) Erwähnt bei Kugler, Geseh. der MaL, zweite Ausg., I. 1M.