Volltext: Geschichte der bildenden Künste im Mittelalter: Das eigentliche Mittelalter (Bd. 4 = [2], Bd. 2, Abth. 2)

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Plastik 
und 
Malerei 
Allein in der That ist selbst bei dem Sehen für praktische 
Zwecke nicht das physische Auge allein entscheidend, son- 
dern stets unser geistiges Wesen, unsere Phantasie mit- 
wirkend. Man braucht sich nur an die bekannte 'l'hatsache 
zu erinnern, dass das Bild der äusseren Dinge verkehrt 
auf unsere Netzhaut fällt, und nur durch einen nicht nach- 
weisbaren, uns selbst unbewussten Act unseres geistigen 
Wesens in die richtige Stellung gebracht wird, lnn sich 
zu überzeugen, Wie mächtig diese instinetartige Einwirkung 
unseres Geistes auf unser Auge ist. Dies gilt denn offen- 
bar in ästhetischer Beziehung noch viel mehr, als vom ge- 
meinen Sehen. Die sichtbare Natur ist ja eben nur die 
äussere, sinnliche Oberfläche der Dinge, Welche nur vermöge 
ihrer inneren Gesetzmässigkeit dem Geiste ebenbürtig, und 
nur durch die Uebereinstimmung dieser Gesetze mit denen 
des von uns erkannten Geistes für uns wichtig, und ein 
Abbild dieses Geistes ist. Wir verstehen daher die Natur 
nur in dem Lichte des Geistes, in dem wir aufgewachsen 
und herangebiklet sind, nur im Geiste unserer Zeit und 
unseres Volkes, wir können sie nur als schön darstellen, 
insofern unser Geist reif und geübt ist in der Fülle der 
Erscheinung, die ihm zusagenden Gesetze herauszufinden. 
Wir sehen in ihr nur das, worauf wir vorbereitet, Wofür 
wir empfänglich sind, wir erkennen die Schönheit nur 
durch das Auge der Kunst, nur von dem Standpunkte 
eines bestimmten Styles aus. Denn der Styl ist eben das 
Resultat der allgemeinen Verhältnisse, in der bildenden Kunst 
also der Verhältnisse von Form und Farbe, welche dem 
jedesmaligen Geiste entsprechen. 
In der Zeit , die Wir zu betrachten haben, war nun 
allerdings eine Kunst und mit ihr eine bestimmte Auffas- 
sung der Natur überliefert, wenn auch nur in schon er- 
bleichenden 'l'raditionen. Aber diese Kunst war eben die
	        
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