Plastik
und
Malerei
der
nördlichen
Länder.
453
nachstellen und erst später zur Reife gelangten. Allein
dennoch sind sie beachtenswerther, als man gewöhnlich
annimmt. Man pflegt gerade diese Epoche, namentlich bis
zum Jahre 1050, als die Zeit des tiefsten Verfalles der
Kunst zu bezeichnen, und in der 'l'hat stehen sie, wenn
man auf das Verständniss der Natur als eine nothwendige
Voraussetzung der darstellenden Künste sieht, im Ganzen
auf einer überaus niedrigen Stufe, tiefer selbst, als die
karolingische Zeit. Die natürlichen Formen erscheinen bald
in rohester Auffassung, bald in unangenehmer und belei-
digender Entstellung, manchmal sogar mit einer Auffas-
sung, welche fast absichtlich sich von der Wahrheit zu
entfernen und ein nur entfernt ähnliches, Willkürliches
Schema an ihre Stelle zu setzen scheint. Die meisten un-
SGFGY
Kunstfreunde
und
selbst
Künstler ,
Welche,
der
Rich-
tung unserer Zeit gemäss, die natürliche Wahrheit fast bis
zum Vergessen der höheren stylistischen Rücksichten zu
schätzen gewohnt sind, vermögen daher diesen Leistungen
kein Interesse abzugewimien, und können sie als unbe-
greifliche Verirrungen eines rohen oder verschrobenen Sin-
nes nur mit Gleichgültigkeit betrachten. Allein dennoch
muss man anerkennen, dass auch dieser scheinbare Verfall
ein nothwendiger Durchgang war, (lass er, wie sich im
Einzelnen sehr vollständig ilachweisen lässt, nicht auf Un-
fähigkeit des Auges und der Hand, sondern auf tieferen
Gründen beruhte. uml die Erlangung eines besseren Styles
vorbereitete. Um dies zu zeigen, muss ich indessen einige
allgemeinere Bemerkungen vorausschicken.
Unsere Zeitgenossen glauben gewöhnlich, dass es zum
ltlrkennexi der Natur nur des physischen Auges bedürfe,
dass daher ein Mangel an solcher Erkenntniss auf einer
verschuldeten Unempfänglichkeit, ein Mangel der Darstel-
lung auf einer Vernachlässigung oder Unfähigkeit beruhe.