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Erste
Epoche.
in Deutschland; sie näherte sich den Laien mehr und wurde
von ihrer Rohheit und Verderbniss ergriffen. Italien sank
dadurch bis auf die tiefste Stufe sittlichen Verfalls. Gün-
stiger gestalteten sich, wenn auch nur allmälig, die Ver-
hältnisse in Frankreich. Die Geistlichkeit, wenn auch
weniger strenge, wie in Deutschland, behielt doch das Be-
wusstsein ihres Berufs und erlangte, eben dadurch, dass
sie dem Volke näher stand, seine Gefühle theilte, ein Mittel
zu kräftigerer Einwirkung auf dasselbe. Die Ritter und
Edeln, so wild und kriegerisch sie erschienen, konnten
sich nicht völlig der Bildung entziehen, deren Sprache sie,
wenn auch unvollkommen, verstanden und sprachen; sie
wussten daher sowohl die Mahnungen der Geistlichen zu
würdigen, als andererseits ihren Anmaassungen Schranken
zu setzen. Kampf und Verwirrung und die Selnlsucht
nach kirchlicher Abhülfe waren zwar hier nicht geringer,
als in Deutschland; ja, dies Gefühl äussert-e sich hier selbst
wärmer und enthusiastischer, wie dort. Aber der Enthu-
siasmus für die Kirche war hier nicht gegen die staat-
liche Macht gerichtet; diese beruhete nicht, wie in Deutsch-
land, auf theoretischem Grunde, auf dem Gedanken einer
höheren, mit der Kirche zusammenhängenden Bedeutung,
sondern auf einem der Kirche unzugänglichen Titel, auf
allmäliger privatrechtlicher Erwerbung. Zwar war Hugo
Capet von anderen Grossen erwählt, aber nicht diese Wahl,
sondern seine Hausmacht war seine Stärke. Er blieb in
seinem Erbe , das Königthum haftete an der Grafschaft
Paris und dem Herzogthume Francieil, und Frankreich
konsolidirte sich nur langsam mit diesem festen Kerne der
Monarchie. Die Verhältnisse zwischen Staat und Kirche
gestalteten sich daher hier ganz anders. Sie begannen
zwar wie in Deutschland; König Robert war dem Priester-
thume unterwürfig wie sein Zeitgenosse Heinrich II. , und