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Nordfrankreich.
noch deutet der Gedanke eines priesterlichen Adels, die
Neigung zu bedeutsamer Fassung mystischer Lehren auf
keltische Traditionen hin, die freilich mit christlichen Ele-
menten und skandinavischen Anschauungen gemischt waren.
Wo sich die Nationen friedlich oder kämpfend berühren,
wird oft das, was im ruhigen Genusse des Daseins unbe-
merkt geblieben war, von grellen Schlaglichtern hell be-
leuchtet, so dass es Gefühl und Phantasie mächtig anregt.
S0 geschah es auch hier, und jene 'l'raditionen erhielten
dadurch eine Gestalt, in der ihre historische Grundlage
kaum Wieder zu erkennen War. Aber gerade dieses Un-
historische, das der Phantasie freies Spiel gestattete,
empfahl sie zuerst den Normannen, die auch ihre eigene
Abkunft vergessen hatten, und später der ganzen ritter-
lichen Welt, die immer mehr auf eine weltbürgerliche All-
gemeinheit ausging.
Abgesehen von dieser poetischen Neigung waren die
Normannen keineswegs Schwärmer, nicht einmal in reli-
giöser Beziehung. Den ausgedehnten Ansprüchen des rö-
mischen Stuhls traten sie zuerst einfach und kräftig ent-
gegen; die bei den Angelsachsen schon gcbiiuchliehe reli-
giöse Weihe zur Ritterwürde versclnnäheten sie als un-
männlich Ihre Rechte behaupteten sie mit eiserner
Härte; ritterlicher Stolz und altnordische Rohheit traten bei
ihnen völlig nackt hervor; der Druck der unteren Klassen
war nirgends so systematisch betrieben wie bei ihnen. Die
Geschichte erzählt eine Menge Beispiele dieser IIärte, sie
spiegelt sich aber schon in den Nantn, welche die kleinen
Lehnsleute in Urkunden des elften und zwölften Jahrhun-
derts führen, und in Welchen sie sich geradezu als Blut-
1'] Ingulf bei Savile, p. 901. Hanc consecrandi milites consue-
tudinem Normanni abomi-nantes, non militem legitimum talem tenebant,
sed socordem equitem et quiritem degenerem putabant.