Derbheit
der
Sitte.
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Kraftäussermigen. Gilt dies schon einigermaassen von den
Griechen des homerischen Zeitalters, so tritt es bei den
germanischen Völkern noch viel auffallender hervor, weil
eben die allgemeine Regel der Kirche und des Staates eine
fremdere und abstraktere war. Einen Homer, der mit un-
geschminkter WVahrheit schildert, konnten diese Zeiten nicht
haben, aber auch die unbehülfliche Latinität der Chronisten
lässt uns Ziige erkennen, die an die homerischen Helden
erinnern. Dieselbe Einfachheit und Derbheit der Sitten, (lie-
selbe Naivetät des Ausdrucks, die Olfenheit leidenschaft-
lichen Begehrens und dann wieder die weiche Gutmüthig-
keit, Welche dem rauheil Krieger plötzliche 'l'hränengüsse
entlockt. Aber freilich finden wir bald, dass wir nicht
Griechen, die schon durch blossen Instinkt ZllIIl Edlen und
Schönen geneigt sind, sondern harte, trotzige Naturen,
maasslos in Genüssen und im Zorne, vor LlllS haben. Es
ist nicht zu läugnen, dass die germanischen Völker in dieser
Epoche starrer und unlenksamer sind, als in den Tagen
'l'heoderich's und Karfs; die Aeusserungen sind greller,
gewaltsamer, die Charaktere eigenwilliger und selbst bös-
artiger, zu einer sanften, schonenden Erziehung waren sie
daher nicht geeignet, die Kirche musste ihnen gegenüber
mit unbeugsamer Strenge auftreten. Aber ein gewisses
Recht hatte ihre natürliche Anlage doch auch, der Vernich-
tungskrieg, den die Kirche gegen sie führte, War, wenn
auch nolhtvendig, doch tragisch. Auch war diese Volks-
kraft ihr nicht durchaus feindlich, sie gab ihr auch die
Mittel des Kampfes. Auf dem Boden römischer Civilisa-
tion wäre diese Kirche nie erstarkt, nur im Streite mit
dieser rohen Naturkraft koimte sie ihre Stärke kennen ler-
nen, nur aus diesen kräftigen Stämmen ihre Vorkämpfer
und ihre treuen Schaaren erhalten. Jenes Element roher
Derbheit lebt daher auch in der Kirche, das Gefühl des