Volltext: Geschichte der bildenden Künste im Mittelalter: Das eigentliche Mittelalter (Bd. 4 = [2], Bd. 2, Abth. 2)

Ilistorische 
Uebersicht. 
Charakter, das Schöne und Anerkennenswerthe, wie das 
Sclnvaclle seiner Leistungen. "Alle Erscheinungen dieser 
Zeit erinnern uns an jenen oft erwähnten Ausspruch eines 
französischen Chronisten, dass die Welt, ihre alte 'l'racht 
ablegend, die weissen Feierkleider der Kirche angezogen 
habe. Diese Aeusserung ist bei ilnn zunächst auf den An- 
fang des elften Jahrhunderts, auf die Stimmung bezogen, 
Welche durch den chiliastischen VVahn von dem bevor- 
stehenden Untergange der VVelt entstanden war; allein auch 
dieser VVahn ging nur aus der vorherrschenden religiösen 
Richtung lmd ihrer damaligen Färbung, aus dem Geiste 
hervor, der auch schon vor dem Jahre 1000 herrschte und 
die Gemiither für solche Besorgnisse empfänglich machte, 
der sich aber auch später erhielt und sich nicht bloss auf die 
Einzelnen und auf die Gegenden beschränkte, in welchen 
jene Besorgnisse Wirklich Eingang fanden, sondern alle 
Länder und schon das zehnte Jahrhundert erfüllte. 
Um indessen diese kirchliche Begeisterung und die Ge- 
stalt, in der sie sich äusserte, zu begreifen und zu wür- 
digen, dürfen wir den Blick nicht bloss auf die Kirche 
richten. Die Macht, welche sie erlangte, beruhete auf den 
politischen Verhältnissen, auf dem Bildungszustailde der 
Völker. lVar die Ausbildung der Kirche die nach gött- 
licher Anordnung diesem Zeitalter gegebene Aufgabe, so 
waren jene weltlichen Verhältnisse doch die Mittel zu ihrer 
Lösung; sie gaben auch dem kirchlichen Elemente seine 
Färbung und Gestalt. Die Kirche erlangte ihre Stellung 
nicht bloss aus sich selbst, nicht bloss durch die Macht 
und TVahrheit der göttlichen Leln-e, die sie vertrat, sondern 
auch durch die veränderte Stellung der Nationen. 
Vergleichen wir die erste grosse Periode des Mittel- 
alters, die voin Üntergange des römischen Reichs beginnt 
und mit der Zersplitterung der karolingischen Monarchie
	        
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