Provenzalen
und
Franken.
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Volkes einzugehen. Noch aus römischer Zeit her war das
Volk an poetische Anregungen gewöhnt; die Kirche liess
sich auch hierauf ein, dramatisirte ihre Feste, trug heilige
Geschichten in bänkelsängerartigen Reimen vor, dumhwebte
sie sogar mit landschaftlichen Schilderungen, in denen schon
jetzt Philomele, die in den späteren ritterlichen Gedichten
so unentbehrliche Nachtigall, ihre Stelle fand. Unter der
Geistlichkeit entstand daher eine Form der Bildung, in der
sich weltliche Elemente, zum Theil in antiker Färbung, mit
christlichen mischten. Auch der kriegerische Adel konnte
dem Einflusse städtischer Sitte und einer milderen Sinnes-
weise nicht widerstehen. Er gab den Ermahnungen der
Kirche zuerst Raum , indem er den Gottesfrieden annahm
imd als ritterliches Gesetz anerkannte; er benutzte aber
auch diese Tage der Ruhe zu friedlichen Festen, und bald
erschallten die Burgen nicht bloss vom Getöse der WVaffen,
sondern von den Tönen heiterer Geselligkeit. Die Poesie
der Minne hatte hier ihre früheste Blüthe, und die Lieder
der 'l'roubad0urs machten die Gemüther für zarte Regungen
empfänglich. Politische Bedeutung erlangte das Land zwar
nicht, die Versuche der burgundischen Fürsten scheiterten,
aber es erfreute sich des Friedens und der Wolüfahrt lange
vor den anderen Völkern des Abendlandes. Die Nord-
franzosen dieser Zeit , roher und kriegerischer, rühmen an
den Provenzalen ihre Klugheit und Emsigkeit, aber sie
verschmähen ihre reiche Tracht und die Weichlichkeit ihrer
Sitte, und verspotten
Vorsicht Ü.
ihre ,
ihnen
unmännlich
scheinende
i") Vgl. die oft angeführten Stellen des Glaber Radolf (bei du
Chesne IV, 38) und das Radolf Gadomensis (Muratori Scr. rer. Ital. V)
bei Wachsmuth Sittengeschichte II, 458. Sie scheiden sich, sagt der
Chronist, wie Hühner und Enten; es war sprüchwörtlich: Franci ad
bella, Provinciales ad victualia.