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Frankreich.
den südlichen Küsten hatten griechische Pflanzstärlte schon
vor der römischen Eroberung Civilisatioil verbreitet, und
nach derselben dem strengeren römischcn Geiste eine wei-
chere, auf feineren Lebensgenuss gerichtete Färbung ge-
geben. Auch die Völkerwanderung zerstörte die Blüthe
dieser Gegend nicht völlig, die grösseren Städte Wussten
ihre Gewerbthätigkeit und ihre Selbstständigkeit zu be-
wahren, mannigfache Ueberreste römischer Grösse erregten
den Sirm für Pracht und Luxus, und die fortwährende
Anerkennung des römischen Rechts beförderte Ordnung
und Gesetzlichkeit. Die ersten germanischen Eroberer des
Landes, die Westgothen, wurden von dieser einheimischen
Civilisation überwältigt, cultivirt und verweichlicht; die frän-
kische Herrschaft fasste nur schwache WVurzeln; die Nor-
mannen drangen nicht bis hieher, und mit den Arabern
Waren, nachdem ihr erster Einfall glücklich znrückgeschla-
gen, nur auf den Gränzen Kämpfe zu bestehen.
Das Christenthum hatte unter der gebildeten und em-
pfänglicheil Bevölkerung dieser Gegend Eingang gefunden,
frommen Regungen waren die Gemüther höchst zugänglich,
die strengere Haltung, welche nach dem Jahre 1000 auf-
kam, machte sich auch hier am stärksten geltend. Aber
der Gegensatz zwischen Geistlichkeit und Laien war hier
weniger fühlbar, weil die gemeinsame Sprache sie verband
und die Verschiedenheit des Lateinischen von dem einhei-
mischen Dialekte zu gering war, um nicht Verschmelzungen
herbeizuführen Die Laiemvelt war daher minder un-
gebildet, die Geistlichkeit weniger gelehrt, mehr genöthigt
und mehr geneigt, auf die Wünsche und Gebräuche des
i) Schon aus der ersten Hälfte des elften Jahrhunderts besitzen
wir geistliche Formeln und Gesänge theils ganz in prove-nzalischer
Sprache, theils wechselnd, lateinisch und romanisch. Vgl. Fauriel,
Histoire de 1a poesie provenqale. Paris 1846.