Tiefster
Verfall
der
Kunst.
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opfert, wo das Leben von höheren Ideen bewegt ist, die
nach einem Ausdrucke verlangen, kann sie gedeihen. Ohne
diese Begeisterung verfällt das Volksleben und mit ihm die
Kunst.
Als der Verfall seine äusserste Gränze erreicht hatte,
in der zweiten Hälfte des elften Jahrhunderts, um dieselbe
Zeit als in der Kirche eine strengere Partei die Oberhand
gewann, deren Plane Gregor VII. endlich mit starker Hand
zur Ausführung brachte, nahm auch das öffentliche Leben
und mit ihm die Kunst eine bessere Gestalt an. Allein
diese Besserlmg ging, obwohl gleichzeitig, nicht aus reli-
giöser Begeisterung, sondern aus ganz anderen Elementen
hervor, aus der Entwickelung des bürgerlichen Sinnes und
der wachsenden Blüthe der Städte. Jene Ueberreste antiker
Bildung, welche sich in ihnen concentrirten, hatten sie fähig
gemacht, aus der Verwirrung der Zeiten V ortheile zu zie-
hen, bei den Fehden des landsässigen Adels, bei der Ent-
sittlichung der Geistlichkeit ihre Rechte auszudehnen und
festzustellen, durch die Gunst der Fürsten Bestätigung ihrer
Privilegien zu erhalten. Auch die kirchliche Reform, Welche
Gregor und die ihm Gleichgesinnten vornahmen, kam ihnen
zu Statten, indem sie theils eine Spaltung unter den geist-
lichen Machthabern, theils eine strengere, Weniger auf welt-
liche Herrschaft gerichtete Sinnesweise derselben hervor-
brachte. Während dessen Waren sie auch durch bürger-
liche Gewerbsamkeit bereichert. Der Handel hatte, beson-
ders in den Küstenstädten, niemals aufgehört; sie waren
es , Welche byzantinische und maurische Fabrikate dem N 01'-
den zuführten. Die Verbreitung des Christenthums und der
Civilisation vermehrte nur die Zahl ihrer mercantilischen
Hinterländer und in diesen die Nachfrage. Dieser Verkehr
mit den östlichen Ländern gab aber auch mannigfaltige An-
schauungen und schärfte den Sinn für das Nützliche und