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Italien.
Oberhauptes der Christenheit. Rohe Adelsfaktionen kämpf-
ten in Rom um den Besitz der Macht, verbuhlte Weiber
konnten bleibenden Einfluss gewinnen und den päpstlichen
Stuhl mit Knaben oder mit ihren verächtlichen Kreaturen
besetzen. Auch im übrigen Italien war der Klerus mehr
als anderswo entartet. Die geistlichen Würden, von den
Machthabern ohne Regel und Recht, ohne Rücksicht auf
sittliche und Wissenschaftliche Befähigung verliehen, wurden
als Pfründen des Adels betrachtet, deren Inhaber die Le-
bensweise ihrer weltlichen Standesgenossen beibehielten, sich
offen wilder Ueppigkeit hingaben, mit Hunden und Falken,
mit Buhlerinnen herumzogen. So wenig die Kirchenzucht
der anderen Länder eine strenge und musterhafte genannt
werden konnte, erregte doch der Zustand Italiens den Un-
willen der Ultramontanen. Ratherius, der, von Geburt ein
Belgier, auf den Bischofsstuhl von Verona gelangt war und
vergeblich mit den eingerissenen Missbräuchen kämpfte,
bezeugt, dass in keinem Lande von Europa die Geistlich-
keit so verachtet sei, wie in Italien, dass sie sich hier nur
durch Tonsur und Kleidung von den Laien unterscheide.
Der Erzbischof von Orleans wagt auf einem Konzil zu
Rheims (991) es auszusprechen, dass unter der römischen
Geistlichkeit kaum Einer sich befinde, der lesen und schrei-
ben gelernt habe, er verlangt, dass man das Oberhaupt
der Kirche in Belgien oder Deutschland suche, wo noch
fromme und in der Lehre ausgezeichnete Männer zu finden
seien. Und noch im Jahre 1058 konnte Petrus Damiani
behaupten, dass der neu erwählte Papst, um von ganzen
Psalmen nicht zu reden, nicht einmal ein Verslein der
Homilien vollständig auszulegen, und dass der Kardinal-
priester, der ihn geweiht, nicht einmal richtig zu lesen ver-
möge Wenn auch diese Vorwürfe übertrieben sein
Ü Neander Kirchen-Gesch. Bd. IV. S. 29.7, S. 200, 237.