Vl
Vorwort.
nicht den einheitlichen Charakter hat, wie diese, und ihre
Bedeutung und geistige Richtung nur durch näheres Ein-
gehen auf die Mannigfaltigkeit ihrer Aeusserungen an-
schaulich gemacht werden kann. Dazu kommt aber auch,
dass sie noch nicht so bekannt und verarbeitet ist, wie die
der alten Welt. Während für diese eine Menge von spe-
zielleren und umfassenderen Werken vorliegen, auf welche
verwiesen werden kann, und die wichtigsten Fragen bei
ihr ausser Zweifel gestellt sind, ist die Kunstwissenschaft
des Mittelalters noch neu, muss aus zerstreuten und schwer
zugänglichen Monographien und aus eigenen Anschauungen
des Verfassers zusammengestellt rund ergänzt werden. Die
allgemeine Darstellung würde daher dunkel und unbefrie-
digend geblieben sein, wenn sie sich nicht auf grösseres
Detail stützte. Auch liegen in ihr noch so viele zweifel-
-hafte Fragen, dass der Verfasser seine Auffassung näher
begründen und desshalb auf das Einzelne eingehen musste.
Diese Beschaffenheit unserer Kenntniss konnte dann ein
anderes Bedenken erwecken; man konnte fragen, 0b es
rathsam sei, schon jetzt eine detaillirte Darstelltmg der Ge-
sammtgeschichte zu unternehmen, Welche der Gefahr aus-
gesetzt ist, durch spätere Entdeckungen theilweise berich-
tigt oder widerlegt zu werden. Dies Bedenken lag na-
mentlich in Deutschland nahe, wo sich die Forschung vor-
zugsweise dem chronologischen Elemente zugewendet und
mit der Ermittelung der Entstehlulgszeiteil einzelner Mo-
numente beschäftigt hat. Dieser chronologische Eifer hat
Einige, wenigstens in Beziehung auf die Baugeschichte des
Mittelalters, zu der Meinung geführt, dass man damit be-
ginnen müsse, alle einzelnen Bauten chronologisch zu ord-
nen und zu diesem Zwecke ihre Entstehungsdaten zu er-
mitteln. Dieser wirklich begonnene Versuch ist aber in
zwiefacher Beziehung unwissenschaftlich, theils weil er, da
eine urkundliche Gewissheit über alle Monumente sich nie-
mals helfen lässt, zu einer bedenklichen Vermischung blos-
ser Vermuthungen mit erwiesenen Thatsachen führt, theils
weil er die unleugbare Wahrheit, dass die meisten Ge-