Historischer
Glaube.
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doch nicht die reine Wahrheit, sondern nur ein Bild
derselben gaben, das durch die Eigenthünxlichkeit ihres
Stoffes bedingt ward"). Vor Allem enthielt aber die Schrift
eine historische Wahrheit, und man wagte es so
Wenig sie als blosses Sinnbild zu betrachten, dass man
selbst die Figuren der Gleichnissreden, Abraham, in
dessen Schooss die Seligen ruhen, die thörichten und
klugen Jungfrauen und den verlorenen Sohn wie histo-
rische Figuren behandelte. Die Gelehrten Wussten das
nun freilich besser, aber sie nahmen keinen Anstoss an
dieser unbefangenen Thätigkeit der gestaltenden Phan-
tasie, sie gestatteterx sie sich selbst.
Geschah dies schon bei diesen Figuren des Gleich-
nisses, so galt es noch vielmehr da, wo das Wesen
gewiss und nur die Gestalt unsicher war. Ein jeder
wusste, dass Gott allgegenwärtig, nicht in bestimmter
Körperlichkeit begränzt sei, dass kein Wort sein Wesen
aussprechen, also auch kein Bild es würdig versinnlichen
konnte M). Aber doch hatte Er sich den ersten Aeltern,
dem Moses gezeigt, Christus war sein Ebenbild gewesen,
4') Durandns im Prolog seines Rationale divinorum olficiorum,
Obgleich ein eifriger Symboliker, benlerkt doch, die Zeit des Vor-
bildliehen sei vorüber, die Zeit der WVahrheii da, wir dürfen nicht
jiidelil (non judaizare, nicht die Wahrheit in Gleichnissen verschlies-
S911). Aber obgleich die VVnhrheit erschienen, sei doch noch nlallßllß
Wahrheit verborgen (adhuc multiplex verilas lalet quam nun vide-
mus); deshalb gestalte die Kirche den Gebrauch der Bilder.
Vincentius Bellovacensis sagt sehr Schön (Spec. lliSlßriille
Ü- 1): Nihil de Deo digne dici potest, sed eo ipso im" indlgmml
9st, quod dici poiest. Verius cogitalur Deus qnam dicitur, et- verius
ESI qnam cogitatur. Im 10. Jahrhundert in Italien gab ES indessen
Sogar Geistliche, welche sich Gott nur körperlich denken konnten,
m dass Ralhesius, Bischof von Verona 974), gegen sie eifem
musste. (Gieseler K. G. lI. 1. S. 27. note g.)