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Deutung
der
Natur.
V01" allen galt dies von den Erscheinungen des
Lichtes und der Wärme. Die tiefsten, wichtigsten
Kirchenlehren von der Dreieinigkeit, von Gottes Wesen
und Allgegenwart, von seinen Gnadenwirkungen auf den
Menschen, von der Geburt des Heilandes u. a., die dem
gemeinen Verstande unbegreiflich erscheinen und über
die alltägliche Erfahrung hinausgehn, werden glaubhaft,
wenn man in der Natur selbst ähnliche Erscheinungen
aufzeigt. Daher hatte man schon frühe gesucht, sie
durch Gleichnisse anschaulicher zu machen. Der Strahl
des Lichtes, der mit geistiger Schnelle sich durch das
Weltall verbreitet, durchsichtige Körper, ohne Verlust
der Substanz und ohne Verletzung der Körperlichkeit,
durchscheint, versinnlicht die Allgegenwart und Allmacht
Gottes; das Spiegelbild erklärt die geistige Einwirkung
auf die Gemüther, ja sogar die Erschaffung der Welt
aus dem Nichts; in der Einwirkung der Sonnenstrahlen
auf das Reifen der Traube und die Erzeugung des Weins
haben wir ein Gleichniss für die göttliche Gnade und
die dadurch bewirkte Umwandlung des menschlichen
Herzens. Und so lassen sich für andre Mysterien andre
Analogien in der Natur linden a). Wenn nun auch diese
3') Eine sehr reiche Sammlung solcher Gleichnisse zur Bezeich-
nung der Dreieinigkeit, der Jungfrau und Christus, gibt Wilh.
Grimm in der Vorrede zu Konrads v. Würzburg goldner Schmiede
(Berlin 1540) S- XXVI. 11'. Einige auch bei Bosenkranz Gesch. d.
d. Poesie im M. A. S. 168. Am hiiuiigsten ist die Anwendung auf
die Jungfrau Maria; so Walther v. d. Vogelweide: Also die Sunne
schinet durch ganz gewohrtez glas, also gebar die Reine Krist, die
magd und muoter was. Wackernagel (das deutsche Kirchenlied,
S. XVI) hält dies für das älteste Beispiel dieses Gleichnisses in Ge-
dichten, und lässt einen lat. Hymnus aus dem 14. Jahrh. darauf
folgen: Ut vitrum non laeditur sole penetrante, sic illaesa Credituf
post partum et ante. Die schönsten, oft wahrhaft tiefsinnigen opti-
schen Gleichnisse enthält Dante's divina. Comedia.