Herrschaft
der
Scholastik.
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suchte, alle Verhältnisse in scholastischer Weise con-
struirte, bis diese endlich so weit herrschte, dass sich
Alles nach dem Takte des logischen Syllogismus zu
bewegen schien. Nicht der Einfluss der Geistlichkeit
oder eine Nachgiebigkeit gegen die anmaassende Sprache
der Schule, sondern das innere Bedürfniss verschaffte
also der Scholastik die Herrschaft über das Zeitalter,
die uns in der Geschichte so augenscheinlich entgegen-
tritt. Auch wirkte sie in vieler Beziehung vortheilhaft;
sie gab eine wohlbekannte, ausgebildete Form , Welche
den Mangel sittlicher Haltung ersetzte, ein Mittel auch
die schwierigsten Verhältnisse wenigstens äusserlich zu
ordnen, und eine Gleichförmigkeit der Erscheinungen,
welche es möglich machte, sie zu überblicken.
Indessen herrschte die Scholastik nur auf der Ober-
fläche des Lebens, in den rechtlichen und kirchlichen
Verhältnissen; es gab grosse Regionen, die ihr ver-
schlossen blieben, ja sie vollendete erst recht die Schei-
dung der gelehrten und geregelten Welt von dem Ge-
fühlsleben des Volkes. Es gab fast zwei Völker in
"demselben Lande, ein lateinisches, von der Autorität aus-
gehendes und im Verstande lebendes, und ein anderes
germanischen Stammes, das seine Wurzeln im natürlichen
Gefühle hatte. Die logischen Begriffe der Schule fanden
in den Nationalsprachen, und die Vorstellungen und Ge-
fühle des Volks in der Latinität der Gelehrten keinen
genügenden Ausdruck. Diese Trennung gewährte in-
dessen, so nachtheilig sie in anderer Beziehung sein
mochte, einen wesentlichen Vortheil, den nämlich, dass
sich die dem germanischen Stamme eigenthümliche Ge-
fühlsweise unverkümmert von dem Einilusse antiker Bil-
(lang und von der ertödtenden Einwirkung der Abstraction
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