Volltext: Geschichte der bildenden Künste im Mittelalter: Das eigentliche Mittelalter (Bd. 4 = [2], Bd. 2, Abth. 1)

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Folgen 
des 
weiblichen 
Einflusses. 
lm Bürgerstanrle duldete schon die einfachere 
Sitte und die Beschränkung des äussern Lebens jene 
zweideutige Galanterie nicht. Aber dennoch herrscht 
hier das weibliche Element nicht minder vor; der Ein- 
iiuss weiblicher Erziehung, weiblicher Tugenden und 
Schwächen ist auch an den Männern kennbar, und die 
Liebe hat hier wie dort eine grössere Wichtigkeit als 
die Natur ihr beigelegt. Sie ist der einzige Lichtpunkt 
des matt und prosaisch hinfliessenden Lebens, mit Aus- 
schluss anderer, mehr männlicher Motive der fast aus- 
schliessliche Gegenstand des Liedes. Aber sie erscheint 
hier ernster, kräftiger als in der ritterlichen Welt, sie 
ist nicht Spiel, sondern Wahrheit, man tändelt nicht mit 
ihren Freuden und Schmerzen, sondern ist davon auf 
Leben oder Tod getroffen. Sie zeigt sich nicht als eine 
unklare Mischung geistiger und sinnlicher Erregungen, 
sondern immer stark ausgesprochen, in dem einen oder 
dem andern Sinne, entweder als gesunde, lebensfrohe 
Sinnlichkeit, oder rein und jeder Entsagung fähig; immer 
mit tiefer Innigkeit, oft und gern wehmüthig, als hoif- 
nungslose, rührende 'l'reue, als unerfüllte herzbrechende 
Sehnsucht. Hier erst wird es deutlich, dass diese ge- 
steigerte Auffassung der Liebe auf einem christlich reli- 
giösen Grunde und auf einer sittlichen Nothwendigkeit 
beruhte. Es ist ja die Summe aller christlichen Gebote, 
Gott über alles, den Nächsten wie sich selbst zu lieben. 
Für eine allgemeine Menschenliebe war aber dies Zeit- 
alter zu jugendlich warm; es forderte einen anschau-. 
liehen Gegenstand, feste Beziehungen, äussere Form. 
Bei starker Selbstsueht fühlte es mit Recht das Be- 
diirfniss kräftiger Selbstverleugnung; auf dieses Ziel 
gehen die 'l'ugenden hinaus, welche das Mittelalter am
	        
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