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Folgen
des
weiblichen
Einflusses.
lm Bürgerstanrle duldete schon die einfachere
Sitte und die Beschränkung des äussern Lebens jene
zweideutige Galanterie nicht. Aber dennoch herrscht
hier das weibliche Element nicht minder vor; der Ein-
iiuss weiblicher Erziehung, weiblicher Tugenden und
Schwächen ist auch an den Männern kennbar, und die
Liebe hat hier wie dort eine grössere Wichtigkeit als
die Natur ihr beigelegt. Sie ist der einzige Lichtpunkt
des matt und prosaisch hinfliessenden Lebens, mit Aus-
schluss anderer, mehr männlicher Motive der fast aus-
schliessliche Gegenstand des Liedes. Aber sie erscheint
hier ernster, kräftiger als in der ritterlichen Welt, sie
ist nicht Spiel, sondern Wahrheit, man tändelt nicht mit
ihren Freuden und Schmerzen, sondern ist davon auf
Leben oder Tod getroffen. Sie zeigt sich nicht als eine
unklare Mischung geistiger und sinnlicher Erregungen,
sondern immer stark ausgesprochen, in dem einen oder
dem andern Sinne, entweder als gesunde, lebensfrohe
Sinnlichkeit, oder rein und jeder Entsagung fähig; immer
mit tiefer Innigkeit, oft und gern wehmüthig, als hoif-
nungslose, rührende 'l'reue, als unerfüllte herzbrechende
Sehnsucht. Hier erst wird es deutlich, dass diese ge-
steigerte Auffassung der Liebe auf einem christlich reli-
giösen Grunde und auf einer sittlichen Nothwendigkeit
beruhte. Es ist ja die Summe aller christlichen Gebote,
Gott über alles, den Nächsten wie sich selbst zu lieben.
Für eine allgemeine Menschenliebe war aber dies Zeit-
alter zu jugendlich warm; es forderte einen anschau-.
liehen Gegenstand, feste Beziehungen, äussere Form.
Bei starker Selbstsueht fühlte es mit Recht das Be-
diirfniss kräftiger Selbstverleugnung; auf dieses Ziel
gehen die 'l'ugenden hinaus, welche das Mittelalter am