Die
Liebe.
wie höhere Wesen behandelt wurden, war es weder
schmachvoll noch thöricht, sich ihnen zu unterwerfen;
die Minne war ein ehrenvoller Dienst, der zu jeder
Tugend befähigte. Für beide Geschlechter entstanden
durch diese Auffassung höhere Ansprüche; die Dame
durfte sich nicht leichtsinnig ergeben, sondern musste
Thaten fordern, die ihrer würdig waren; der Ritter
musste die Ehrfurcht im Auge behalten, die er ihr schul-
dig war, er musste trachten durch den Muth seiner
Unternehmungen, durch den Glanz seiner Siege, aber
auch durch Menschlichkeit und feine Sitte ihre Neigung
zu verdienen und ihr Ehre zu machen. So wurde denn
die Min n e, wie die Dichter so oft priesen, Antrieb zu
allem Guten und I-Iochherzigen, Lehrerin aller Tugend.
Aber damit waren nun auch Frauen Richterinnen männ-
licher That geworden und nach ihren Ansichten regelten
sich die Sitten des Friedens und des Kampfes. S0 hatte
denn durch diese Auffassung die Macht der Frauen die
höchste Stufe erreicht; sie leiteten nicht bloss die Er-
ziehung der Knaben, auch die Jünglinge und Männer
sahen zu ihnen hinauf und suchten in ihren Augen den
Leitstern ihrer Handlungen.
Freilich machte das Leben sich oft mit andern An-
Sprüchen geltend; Einsicht und Thatkraft des Mannes
entschieden in letzter Instanz, die Courtoisie erstreckte
sich nicht auf die grossen Welthandel und auf die Ge-
Schäfte des strengen Rechts. Aber dennoch lassen sich
auch auf der Oberfläche der Geschichte die Spuren die-
Ses weiblichen Einflusses erkennen. Er mildfäfte die
Rohheit, begünstigte die Empfänglichkeit und Begeiste-
rung für religiöse Ideen, gab dem Leben denpoetischen
Reiz, dessen das Ritterthum bedurfte, und führte an