Der
Anstand.
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zu schwer, nichts der Ehre zu hoch. Die Phantasie
hatte freies Spiel, und der Ritter strebte nach einem
unerreichbaren idealen Ziele. Seine Lebensaufgabe hatte
daher ein poetisehes Element und bedurfte der Dichtung.
Er wurde getrieben, sich die höchsten Leistungen ritter-
licher 'l'ugenden auszumalen um in ihnen Vorbilder für
sein eigenes Handeln zu erlangen; er wurde versucht
seine 'l'haten mit denen dieser dichterischen Helden zu
vergleichen. Dies konnte dann ein neuer Antrieb zur
Demuth werden, indem er weder in den Begebenheiten
seines Lebens noch in seinen Leistungen etwas so Aus-
gezeichnetes wahr-nahm, es erzeugte aber auch einen
fälschen Reiz nach dem Ungewöhnljchen und Glänzeuden,
und dadurch Uebermuth, Eitelkeit und 'l'h0rheit. Zugleich
musste der Ritter-stand als eine weltliche Aristokratie
sich auch durch äussernl Glanz auszeichnen.
Die Beschwer-
den des Kampfes heischtcn Erholung, die Freude des
Sieges festliche Lust und ein unruhiges Reiterleben stei-
gerte die Ansprüche der Sinnlichkeit. Die Ehre des
edeln Standes musste aber auch hier bewahrt werden, es
bedurfte bestimmter Gränzexi des Erlaubten, die ritterliche
Kühnheit musste durch den Anstand gezügelt werden.
Das persönliche Gefühl hatte sich auch hier den An-
sichten der Standesgenossen zu fügen. Dies gab eine
conventionelle Sitte, die sich um so fester und gere-
gelter ausbildete, als sie für jugendliche, sinnlich auf-
geregte Menschen berechnet war und den Mangel tieferer
Bildung ersetzen sollte.
Man sieht hieraus wie verschiedene Gestalten der
Geist des Ritterthums hervorbringen musste. Bald finden
Wir diese Helden bei aller Kühnheit und Kraft mit einem
schönen Zuge der Bescheidenheit und Milderlledlichkeit