Wechsel
V01]
Demuth
und
Hochmuth.
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Und wirklich bewegte sich der ganze Gegensatz
des Guten und Bösen um diese eine Eigenschaft, alle
Fehler und Tugenden erhielten dadurch Farbe und Gestalt.
Auch das Hochstrebende ging aus ihr hervor. Die Demuth,
weil sie sich gering achtet, ahnt, sucht und liebt ein
Höheres. Sie ist bedürftig und sehnsüchtig, vertrauend
und hingebend, strebsain und rüstig. Sie erzeugt daher
Frömmigkeit, Begeisterung, Aufopferung und Selbst
Muth. Die sinnliche Demuth aber, die nicht vorbe-
reitet ist Wahre Güter von falschen zu unterscheiden,
macht leichtgläubig, ergreift das Nichtige statt des
Ewigen, berauscht sich in irdischen Genüssen, wird
unstät und veränderlich und durch eine geringe Lochung
vom rechten Wege abgeleitet. Das Bewusstsein dieser
Schwäche rief das Bediirfniss nach einer äussern Regel
hervor, wie die des Mönchs und des Geistlichen. Auch
die Laienwelt suchte nach einer solchen Stütze, und der
Erfolg dieses unwillkürlichen Strebens war das Ritter-
th um.
Man hat das Ritterthum oft bloss aus der altger-
manischen Waffenfähigkeit erklärt, welche ein Vorrecht
und Kennzeichen des Freien und Ehrenhaften War, und
dem freigebornen Jüngling feierlich verliehen wurde,
Man hat geglaubt, dass diese heidnische Sitte sich durch
fromme, der Priesterweihe nachgebildete Formen auf
christlichem Boden Duldung und Bürgerrecht verschafft
habe. Allein hier wie immer erklärt die Beibehaltung
hergebrachter Gedanken und die Entlelmung äusserlichei-
Formen die Sache nicht; sie zeigt nur das Material,
welches der Zeitgeist benutzte, um das ihm Nothwendige
ZU bilden. Es handelte sich hier um die Erschaffung
einer ausführbaren Moral oder doch eines Surrogates