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Plastik
und
Malerei.
mag man sie als ein müssiges Spiel des Scharfsinnes
ansehen, welches das Gemüth kalt lässt. In anderen
entsteht nur eine blosse Sammlung von allerlei Wahrheiten
und Nachrichten. Wenn aber diese Bildergruppen in
einem wahrhaft künstlerischen Sinne gedacht, wenn sie
mit geistreicher Benutzung der symbolischen Abbre-
viaturen ausgeführt sind, ist ihnen eine grosse eigen-
thümliche Schönheit nicht abzusprechen. Ich will zu-
geben, dass diese Schönheit nicht eine ausschliesslich
plastische ist, allein sie gehört doch der bildenden Kunst
an; sie beruht auf einer Durchdringung plastischer und
architektonischer Elemente. Denn nur eine grosse Fein-
heit des architektonischen Sinnes machte es möglich, ver-
möge der Stellung der einzelnen Figuren oder Gruppen
ihre innere Beziehung zu einander auszusprechen. Wie
kraftlos ist eine wörtliche Auseinandersetzung der Her-
gänge gegen den Eindruck, welchen die Seele durch
das Auge empfängt, wenn es von oben nach unten ge-
leitet, den Gegensatz des Irdischen und Himmlischen,
oder in den symmetrischen Beziehungen die innere Ver-
bindung verschiedener Gegenstände, ihre Vermittelung
durch einen dritten Hergang wahrnimmt. Man besass
dadurch ein Mittel, die tiefsten Gedanken mit plastischer
Klarheit auszusprechen, Gedanken, welche einer anderen
Kunstrichtung unzugänglich geblieben wären.
In der That gelangte die Kunst des Mittelalters erst
dadurch auf die Höhe ihrer Zeit. Die sentimentale oder
ruhige Frömmigkeit einzelner Gestalten erschöpfte das
religiöse Gefühl des Mittelalters nicht. Dies beruhte ganz
auf jenem grossen Gedanken, zu welchem die Scho-
lastik hinstrebte, mit welchem die Mystik rang, auf jener
festen Ueberzeugung, dass alle Dinge ihren Maassstab