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Plastik
und
Malerei.
darzustellen; jener Streit der alten Kirchenlehrer war
verschollen, man dachte ihn als den Schönsten unter den
Menschenkindern, und wenn das Bild dennoch hässlich
ist, so trägt das Ungeschick des Bildners die Schuld, der
ihn nur ernst, strenge, schreckend darstellen wollte. Denn
dies ist nun die herrschende Auffassung; er wird als ge-
reifter, kräftiger Mann gedacht, oft mit dem unverkenn-
baren Ausdruck des Drohens. Man sieht ihn daher ge-
wöhnlich nur in den prägnanten Momenten, wo seine
Göttlichkeit und ihre Heilswirkung hervortritt. Der gründ-
lichste Symboliker des Mittelalters (Durandus im Rationale
lib. I. cap. 3) spricht es gradezu aus, dass der Erlöser
in den Kirchen nur in drei Momenten dargestellt werden
dürfe, entweder auf dem Throne sitzend, oder am schmach-
vollen Kreuze hängend, oder endlich auf dem Schoosse
der Mutter. Eine vierte Darstellung, die nicht minder
häufig ist, fügt er selbst an anderer Stelle hinzu, die
nämlich, als Lehrer der WVelt mit dem Buche der Wahr-
heit in der Hand. Es ist bald offen, und dann gewöhn-
lich mit den Schriftworten: Ich bin der Weg, die Wahr-
heit und das Leben beschrieben, oder geschlossen, wo es
dann das apokalyptische Buch bedeutet, welches nur er,
der Löwe vom Stamme Juda zu öffnen vermag i). Diese
vierte Form hinzugerechnet wird die Bemerkung des Sym-
bolikers durch die Denkmäler bestätigt; andere Momente
aus dem Leben des Erlösers kommen wenigstens an den
bedeutsameren Stellen der Kirchen nicht vor, diese aber sehr
häufig, ja sie dürfen in grösseren Kirchen nicht fehlen.
Ü Durand. Bat. lih. I. c. 3. Divina majestas depingilur qnando-
que cum libro clauso in manibus, quia nemo inventus est dignus
aperire illum nisi leo de tribu Juda. Et quandoque cum libro aperto,
ut in illo quisque legal: quod ipse est lux mundi et via, veritas et
vita. Beide Darstellungen linden sich gleich oft.