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Plastik
und
Malerei.
auf ausging, überall nur Gegenstände heiliger oder ernster
Art anzubringen, dass man die Kirchen vielmehr als das
einzige Feld der Bildnerei wie ein grosses Bilderbuch
behandelte, in welchem Alles, was die Phantasie reizte
und beschäftigte und was künstlerischer Darstellung fähig
war, seine Stelle fand. Kein Wunder also, dass in einem
Zeitalter, das die Jagd, das Landleben, die Thierfabel so
sehr liebte, auch die Thiere als solche und ohne symbo-
lische Bedeutung eine grosse Rolle spieltenii). Entscheidend
ist es, dass man die Sache im Mittelalter selbst so be-
trachtete.
Wir besitzen aus der Zeit vom zwölften bis zum
fünfzehnten Jahrhundert eine Reihe von Stellen, in welchen
geistliche Schriftsteller der Thierbilder, theils mit scharfem
Tadel, weil sie der Würde eines kirchlichen Orts wider-
sprächen, theils mit Lob wegen ihrer lebendigen Aus-
führung, gedenken, ohne dass dabei auch nur die leiseste
Beziehung auf ihren symbolischen Inhalt vorkommtika),
ü) S0 besonders oft eine Sau an deren Zitzen Juden saugen;
am Dom zu Magdeburg, an der Stadtkirche zu Wittenberg, an der
Nicolaikirche zu Zerbst, am Bathhause zu Salzburg (Puttrich l. Ahth.
I. fol. 8. und Bl. 12), an den Chorstühlen im Dome zu Basel (Be-
schreibung der Münsterk. zu B., B. bei Hasler ä C. 1842),
H) So aus dem I2. Jahrh. die oft citirte Stelle des h. Bernhard
Opp. I. 544, in welcher er gegen die Thierbilder in den Klöstern eifert,
ohne einer möglichen symbolischen Bedeutung zu gedenken. "Cae-
terum in claustris coram legentibus fratrihus quid facit illa ridicula
monstruosiias, mira quaedam deformis formositas? Quid ibi immundae
simiae, quid feri leones, quid monslruosicentauri, quid saevi homines,
quid maculosae tigrides, quid milites pugnantes, quid venatores tu-
bicinnntes? Videas sub uno capite multa corpora et rursus in uno
corpore capita multa. Cernitur hinc in quadrupede cauda serpentis,
illinc in pisce caput quadrupedis. Ibi bestia praefert equum, capram
retro trahens dimidiam; hic cornutum animal equum gestat posterius.
Tam multa denique tamque mira diversarum formarum ubique varietas
ßPlißret, ut magis legere libeat in marmoribus quam in codicibus,