Volltext: Geschichte der bildenden Künste im Mittelalter: Das eigentliche Mittelalter (Bd. 4 = [2], Bd. 2, Abth. 1)

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Plastik 
und 
Malerei. 
majestatis" in dem alten Kirchenliede. Freier trat das 
Naturelement hervor, seitdem der gothische Styl selbst 
an den architektonischen Formen weichere, organisches 
Leben athmende Linien annahm und überdies vermöge 
Seines ordnenden Princips die Gränzen des Plastischen 
und des Baulichen näher bestimmte. Jetzt wurden die 
Gestalten natürlicher, heiterer, voller; das architektonische 
Element hatte nur den wohlthätigen Einfluss, die natür- 
liche Form auf einfache Linien zu reduciren, eine volle, 
kräftige Gewandung, die reine Ovalform des Gesichts, 
gute, wenn auch nicht nach dem Maassstabe griechischer 
Schönheit zu prüfende Verhältnisse hervorzubringen. Jetzt 
konnten sich auch anmuthige Züge entwickeln; diese 
reinen und klaren Formen gaben den Gestalten einen 
Ausdruck vonUnschuld, Einfalt und Demuth, welcher der 
Himmelschöre nicht unwürdig ist, und gestatteten eine 
naive Heiterkeit, welche die ernsten Gegenstände uns 
näher bringt. Auch hier bleibt noch der Mangel voll- 
kommener Durchführung der natürlichen Gestalt, aber er 
dient dem künstlerischen Zwecke, er erregt die Phantasie 
und giebt den Gestalten einen Ausdruck des Werdens, 
der sie mehr belebt, als die erschöpfende Vollendung es 
vermöchte. Sie wirken nicht als körperliche Dinge, son- 
dern wie eine himmlische Erscheinung, die nur kommt 
und verschwindet, den Eindruck hinterlässt, aber sich der 
Prüfung gröberer Sinne entzieht. äDas steinerne Bild hat 
dadurch etwas von der luftigen Allgemeinheit des Ge- 
dankens und entspricht so der symbolischen Weltan- 
schauung, die schon in der Wirklichkeit die harten Um- 
risse der Erscheinungen mit einem Dufte der Poesie um- 
zieht. Selbst die scheinbare Schwäche ist also eine noth- 
wendige 
Eigenschaft.
	        
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