Autoritätsglauben.
Jetzt gewöhnte man sich alles nur nach der Autorität
der Väter zu entscheiden; man hielt es für frevelhaft,
mit eigenen Gründen zu prüfen man wollte nicht die
Schlüsse der Lebenden, sondern nur die der Todten
hören. In jeder Beziehung forderte man bestimmte Vor-
schriften, selbst bei den gleichgültigsten und äusserlichstexr
Dingen und gewohnte sich so an ein gedankenloses
Handeln, das nicht mehr der Ausdruck der Ueberzeugung
war. Der Sinn für W ahrhaftigk eit wurde auch sonst
noch vielfach gefährdet. Die Priester sollten lehren,
was sie selbst nicht vollständig begriffen, sie mussten
daher halbverstandene Worte gebrauchen, deren richtige
Auffassung bei dem Hörenden sie noch weniger voraus-
setzen konnten. Zu diesem feinen Betruge kam denn
auch die grobe Lüge. Zu allen Zeiten ist die Priesterschaft
in Gefahr durch das Bewusstsein von der hohen, über-
wiegenden Wichtigkeit ihrer Zwecke unvermerkt zu
bedenklichen Mitteln verleitet zu werden. Dies um so
mehr in verwickelten Zuständen untl bei dem Mangel
einer fest ausgeprägten Moral. Daher steigerte sich denn
auch im Mittelalter oft die Unwahrheit bis zur groben
Fälschung. Die pseudoisidorischen Decretalen"),
deren Unächtheit erst später erwiesen ist, geben ein
lehrt der Abt Fredegis: Primnm ratione utendum, in quantum
hominis ratio patitur, deinde auctoritate: (Neander IV. 387.)
Ü S0 Wirft im 9. Jahrhundert das Concil zu Lyon dem Johannes
Scotus und seinen Anhängern vor, dass sie Gründen (humanis et
philosophicis argumentalionibus) mehr traueten, als den Aussprüchen
der Kirchenväter (nulla scriptulrarum sive S. Patrum autoritate
prolata).
W) Bekanntlich eine Sammlung angeblicher Decretalen römischer
ßischöfe der 4 ersten Jahrhunderte, die im 9. Jahrhundert auftauchte
und für eine Arbeit. des spanischen Bischofs Isidorus ausgegeben
wurde. Sie bezweckte die Erweiterung der päpstlichen Macht.