Styl
der Darstellung.
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vielmehr finden wir mannigfaltig verschiedene, schwankende
Formen, deren innere Einheit sich dem Auge des spä-
teren Betrachters leicht entzieht. Bei einer Umsicht unter
den Bildwerken unterscheiden wir auch hier, wie bei den
Gebäuden, drei verschiedene Klassen; die eine zeigt
noch eine vorherrschende Styllosigkeit, schwankende,
rohe, gewaltsame Formen, in denen uns zuweilen ein
naives Gefühl für Naturwahrheit anzieht, oft aber auch
die Unschönheit und Unrichtigkeit abstösst; an der zwei-
ten fallt uns die strenge, mehr oder weniger steif geregelte
Zeichnung auf, die oft auf einer falsch verstandenen Nach-
ahmung römischer oder byzantinischer Vorbilder beruht,
manchmal aber auch eine höhere, geistige Bedeutung hat
und den Ernst kirchlicher Darstellung nicht unwürdig
ausdrückt; bei der dritten endlich finden wir eine freie,
weiche und doch von einer gewissen architektonischen
Regel beherrschte Form, die manche Vorzüge hat und
die Eigenthümlichkeit des Mittelalters am vollkommen-
sten ausspricht, aber doch noch, wenn man sie mit der
Natur vergleicht, an Unbestimmtheit leidet und das indi-
viduelle Leben, die Schönheit, Kraft und Charaktertiefe
der menschlichen Natur keinesweges erschöpft. Ich werde
der Kürze halber diese drei Klassen mit den Namen des
rohen, des strengen und des freien Styls bezeichnen.
Der letzte hängt mit dem gothischen Style der Archi-
tektur zusammen, bildete sich erst durch die Einwirkung
desselben aus und verdrängte die beiden anderen. Diese
aber stehen nicht grade in chronologischer Folge, sondern
wurden an verschiedenen Orten oder auch in derselben
Gegend von verschiedenen Künstlern gleichzeitig geübt,
je nachdem das Bedürfniss der Regel oder das Bestreben
nach natürlicher Lebendigkeit vorherrschte. Der strenge