Volltext: Geschichte der bildenden Künste im Mittelalter: Das eigentliche Mittelalter (Bd. 4 = [2], Bd. 2, Abth. 1)

Sittlichkeit. 
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haben daher hier, eben so wie werdende Nationen, 
auch nür eine werdende, und daher unsichere und 
schwankende Sitte zu erwarten. 
Beim Beginn dieses Zeitraumes gab es recht eigent- 
lich gar keine Lebensnorm. Die Gebräuche des deut- 
schen Heidenthums Waren verpönt, die Gevvohnlieiteü 
und Ansichten der römischen Bildung durch den Einfluss 
des Christenthums und die Mischung der Nationen ver- 
dunkelt, die Menschen lebten einsam auf Burgen und 
Höfen, und kamen fast nur in Kriegen und Wanderzügen, 
feindlich oder fremd in Berührung; das tägliche Leben 
veriioss in öder, unausgefiillter Stille oder in wildem 
Getöse. Das Christenthum konnte den Mangel der Civi- 
lisation nicht ersetzen, vielmehr musste es selbst, um 
ein neues Völkerleben zu begründen, sich einem äusser- 
liehen Prozesse unterwerfen, rohen Völkern gegenüber 
in sinnlicher Gestalt auftreten. Es war ganz Kirche 
im äusserlichen Sinne des Worts, und die Kirche musste um 
ihrer Selbsterhaltung Willen Maassregeln ergreifen, welche 
die Ausbildung einer wahren Sittlichkeit erschwerten. 
Denn diese gedeiht nur in der Luft der Freiheit. 
Nur da, wo die Seele sich ganz aufrichtig äussert, ist 
Selbsterkenntniss und feinere Würdigung der That denkbar. 
Diese Freiheit konnte die Kirche nicht gestatten, sie 
musste unbedingten Gehorsam fordern, dies War die 
erste, die einzige 'l'ugend. Die Kirchenvater, die noch auf 
römischer Bildung fussten, hatten die Vernunft als eine 
von Gott gegebene Kraft gelten lassen und sich ihrer 
zur Erforschung der göttlichen Geheimnisse bedientif). 
k) Augustinus: Ea, quae üdei Iinnilate jam tenes, etiam rationis 
lllße conspicias; und an einer andern Stelle: Tempore zurctoritas, re 
autenl ratio prior est (NeanderK. G. ll. 2: 764). Noch im 8. Jahrhundert
	        
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