Volltext: Geschichte der bildenden Künste im Mittelalter: Das eigentliche Mittelalter (Bd. 4 = [2], Bd. 2, Abth. 1)

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Das 
wahre 
Geheimniss 
der 
Meister. 
erwärmend den ganzen Körper. Alle Kräfte äussern 
sich auch hier noch stark, und wir können daher wohl 
in einzelnen Erscheinungen das Vorherrschen der einen 
oder der anderen wahrnehmen, aber im Ganzen sind sie 
verschmolzen. In der romanischen Architektur haben wir 
daher ein Bild des früheren theokratischen Mittelalters, 
das seine grossartige Theorie nur unvollkommen zur Aus- 
führung brachte, im gothischen das der ritterlich- 
scholastischen Zeit. Das Innere zeigt die an- 
muthigen, milden Seiten des ritterlichen Wesens; die 
Wärme der Hingebung, die zarte Sitte. Der Spitzbogen 
trägt zwar einen aristokratischen Charakter, er giebt 
nicht jene unlösbare, urkräftige Einheit des Rundbogens, 
sondern nur eine bedingte, die sich mit wehrhafter Spitze 
nach oben kehrt. Aber doch ist diese Einheit eine frei- 
willige, und ein edler, weicher, reiner Geist durchdringt 
das Ganze, das um so fester ist, weil es auf freier Wid- 
mung beruhet. Diese Weichheit äussert sich im leichten 
Anschmiegen aller Theile, in der geregelten Durchführung 
des allgemeinen Gesetzes, in der Anmuth des leichten 
Maasswverks und in dem Neigen und Durchdringen der 
Bögen und Gewölbe. Hier herrscht denn auch das Ele- 
ment des Vegetabilischen, des passiven, nachgiebigen 
Gefühls. Man hat viel von dem sehnsüchtigen, himmel- 
Wärls strebenden Geiste der gothischen Baukunst ge- 
sprochen, und nicht ganz mit Unrecht, denn diese weichen, 
iliessenden, strebenden Formen haben einen sehnsüchtigen 
Ausdruck. Nur darf man diese Sehnsucht nicht, wie es 
meistens geschieht, als eine selbstgefällige, sentimentale 
Willkür auffassen, sondern als das allgemeine Gesetz 
des Ganzen, dem sich das Einzelne ruhig und anspruchs- 
los fügt. Das Aufstreben jedes Theiles für sich ist nur
	        
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