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Wahre
Bedeutung
der
Quadratur.
eine viel geringere; sie sind allerdings Hülfsmittel, aber
nicht für die höhere Erfindung, sondern nur für den
Steinmetzen, um die vorgeschriebenen Glieder ohne geo-
metrische Kenntnisse richtig auszuführen, und allenfalls
für den handwerksmässigen Baumeister, um die herkömm-
lichen und von ihm beabsichtigten Formen ohne Berech-
nung zu zeichnen. Aber sie hängen allerdings mit den
feineren Eigenthümlichkeiten des gothischen Styls zu-
sammen. In der antiken Architektur gab es keine an-
deren als rechte WVinkel, und keine anderen Curven
als Kreislinien, deren Mittelpunkte in rechtiviilkeligen
d. h. den Achsen der Länge und der Breite des Gebäudes
parallel laufenden Linien lagen. In der mittelalterlichen
Baukunst spielte dagegen von Anfang an die schräge
Linie eine grosse Rolle, und in Folge des Kreuzgewölbes
wurde die Diagonale recht eigentlich das Lebensprincip
der ganzen Construction. Im romanischen Style war die
Schräge nur durch rechtwinkelige Abstufungen und ihnen
eingeschriebene Kreislinien angedeutet, hier genügten da-
her noch immer Winkelmaass und Zirkel zur Ausführung
aller Details. Im gothischen Style dagegen wurden Poly-
gonformen, spitze und stumpfe Winkel, tiefe Höhlungen
und feine Gliederungen angewendet, für welche jene alten
Hülfsmittel nicht ausreichten, und deren Construetion geo-
metrische Kenntnisse erforderte, die den gewöhnlichen
zunftmässigen Bauleuten fehlten. Daher war es erwünscht,
dass man ein Hiilfsmittel erfand, welches diese Arbeit er-
leichterte. Man bemerkte, dass die meisten schrägen Linien
Diagonalen eines aus zwei gleichen Abschnitten der
beiden Achsen des Gebäudes errichteten Quadrates seien;
dass alle Diagonalen dieser Art einander ebenso parallel
sein müssten, wie alle auf den Aussenmauern senkrecht