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Grundfigur.
nach der vierten aber zwei Quadrate (nämlich das der
Seite und das obere) abfallen, so hat man allerdings die
Gestalt des Kreuzes und ungefähr den Kern einer roma-
nischen Kirche. Aber es fehlt doch viel, dass man die
ganze Kirche habe; SeitenschiEe und Chornische lassen
sich nicht aus dem Würfel herleiten und ebensowenig
der andere Theil des Langhauses, wenn dasselbe, wie
es ja fast immer der Fall ist, mehr als zwei Quadrate
misst. Noch weniger aber hat der Würfel irgend eine
nahe Beziehung auf den Charakter des Gebäudes, denn
in diesem ist überall das Längliche, Ungleichseitige vor-
herrschend, Während der Würfel der Ausdruck allseitiger
Gleichheit ist. Man kann daher schwerlich glauben, dass
die Meister der romanischen Kunst an den Würfel ge-
dacht haben; die derben einfachen Formen ihrer Werke
zeigen keine Spur einer solchen Absicht und die oft sehr
wortreichen Erzählungen ihrer Bauthätigkeit weisen nicht
im Entferntesten darauf hing).
Etwas anders verhält es sich mit der gothisehen
Baukunst. Hier ist nicht nur derStyl so complicirt, dass
man sich wohl ein Geheimniss darunter verborgen denken
könnte, sondern wir besitzen auch wirklich schriftliche
Aeusserungen von Bau- und Werkmeistern, in welchen
die Anwendung gewisser geometrischer Figuren empfohlen
und mit Wichtigkeit wie ein Arcanum behandelt wird.
Es wird darin von der „rechten, freien Kunst der
"Geometrie," von „des Chores und der Fialen
"J Stieglitz und Andere führen das Würfelkapitäl als einen
Beweis bewusster Anwendung dieser Form an. Allein das Würfel-
kapiläl ist kein Würfel und der Augenschein lehrt, dass es aus ganz
anderen Gründen enstanden ist. Auch findet ES Sich ja nur in ge-
wissen Gegenden, während es, wenn es gleichsam den Schlüssel für
die ganze Construction enthalten sollte, allgemein verbreitet sein müsste.