Schlussbetraclntunlg.
271
gehen mit gleicher Consequenz nach entgegengesetzten
Richtungen. Es scheint die geeignete Schlussbgtrachtung
für dieses Kapitel, uns die Eigenthümlichkeit des gothi-
scheu Styls durch jenen Gegensatz recht lebendig vor
Augen zu stellen.
Der griechische Bau besteht aus horizontalen und
mithin breitgelagerten Schichten, der gothische aus
senkrechten und mithin schmalen Theilen. Dort sind
die Gliederungen einfach, scharf unterschieden, leicht in
bestimmte Theile zu zerlegen; hier verwickelt, von einer
schwer zu entdeckenden Gesetzlichkeit; dort die Licht-
massen breit, die Schatten allmälig wachsend und verlau-
laufend, hier beide in scharf betonten schmalen Streifen
oft wechselnd. Das Runde kommt dort vorzugsweise als
Ausladung (convex) hier als Höhlung (concav), das
Eckige dort rechtwinklig, hier polygonartig in stum-
pfen oder spitzen Winkeln vor. Dort geht die Anord-
nung dem Auge entgegen, hier weicht sie zurück und
zieht es ins Innere hinein. Dort herrscht im Ganzen die
grade Zahl und die in zwei gleiche Seiten auseinander-
fallende Symmetrie, hier die ungrade, welche eine
Mitte zwischen die symmetrische Gleichheit einschiebt.
Der griechische Styl erschöpft seine Schönheit im Aeus-
sern und vernachlässigt das Innere, im gothischen
Style ist dies der vollendetere Theil, und selbst das
Aeussere trägt das Gepräge der Innerlichkeit. Dort ist
jedes Einzelne bestimmt begränzt, hier ist das Bestreben
darauf gerichtet, es sanft in ein Anderes aufzulösen und
hinüberzuführen. Und wie im Einzelnen so ist auch im
Ganzen der Tempel vermöge seiner Säulenhalle nach un-
abänderlicher Regel abgeschlossen und duldet" keine Zu-
sätze, während die gothische Kirche aus einzelnen Ab-