Spitzgiebel.
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und immer eine ästhetische Nothwendigkeit. Denn der
Bogen, als eine weiche, innerliche Form, bedurfte einer
ihm entsprechenden und mithin steilen Bedachung. Diese
aber erheischte wegen ihrer Schräge einen äusseren Halt,
der ihr daher auch immer und zwar nach dem im ganzen
Bau durchgeführten Systeme durch eine senkrechte Be-
ilügelung d. h. durch zwei darin angebrachte Fialen
gegeben wurde. Spitzgiebel und Fialen gehören nach der
Vorstellung der alten Meister nothwendig zusammen und
diese zierlichen Theile, in welchen der Grundgedanke
des ganzen Baues im Auszuge und höchst anschaulich
ausgesprochen ist, wurden eine beliebte und mit höchstem
Fleisse bearbeitete Aufgabe ihrer Kunst. Daher brachte
man Spitzgiebel überall an, wo es darauf ankam, das
aufstrebende Element in höchster Kraft zu zeigen,
wie am Chore , wo vermöge der polygonen Form
desselben lauter einzelne schmale, senkrechte Wände da-
standen, welche jede für sich einen Abschluss forderten,
am Oberschiffe des Langhauses, wo die horizontale Li-
nie des Dachsimses gebrochen werden musste, endlich
an der Facade, wo das Aufsteigen der Thürme vorzube-
reiten war. Dagegen blieben sie an den Fenstern der
Seitenschiffe fort, weil hier durch die vortretenden Strebe
pfeiler das Senkrechte schon stark betont und eine
völlige Zerstörung des horizontalen Bandes nicht wün-
schenswerth war. Der Schmuck dieser Spitzgiebel be-
steht bei grösseren Portalen oft in Statuen, die auf Con-
solen unter Baldachinen stehen, bei anderen Theilen da-
gegen in Maasswerk, besonders häufig in einer rad-
förmigen Gruppe von drei gestreckten in die Ecken des
Dreiecks hineinragenden Pässen.