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Der
gothische
Styl.
welcher Consequenz der Gedanke der Verticalbildung fest-
gehalten ist und alle Theile bis ins Kleinste durchdringt.
Auch die Form der Spitzsäul e, welche den Strebe-
pfeiler krönt, kommt nicht bloss hier, sondern auch an
allen andern Stellen vor, wo ein Spitzbogen eines Seiten-
halters bedurfte. Die alten Meister, welche sie als einen
Hauptgegenstand ihrer Sorgfalt betrachteten, nannten sie
in Deutschland mit einem fremdklingenden Worte unbe-
kannten Ursprungs: die Fialeii), und unterschieden dar-
an den Riesen H), die pyramidalische Spitze, und den
L eib, den darunter gelegenen viereckigen Thcil. Der Leib
der Fiale wurde nun auf mancherlei Weise verziert; ent-
weder, wie schon erwähnt, durch Aushöhlung zu einem
Heiligenhäuscheu, oder durch eine blosse viereckige V er-
tiefung, oder endlich durch ein blindes Maässwerk, wel-
ches, der senkrechten Haltung entsprechend, die Bildung
von Fensterpfosten mit Spitzbögen und Rosen nachahmte,
und so die im obern Theile des Strcbepfeilers rascher
folgenden Absätze wie verschiedene Stockwerke erschei-
nen liess. Der Uebergang in die Pyramide selbst wurde
dann häufig durch kleinere, den Kern des Pfeilers umge-
bende Spitzen vorbereitet; entweder so, dass man den
fensterähnlichen Spitzbogen des Maasswerks Spitzgiebel
mit kleinen Fialen gab; oder kräftiger, indem man den
Körper des Pfeilers kreuzförmig machte und die grosse
Fiale zwischen vier kleinen, auf den Kreuzarmen errich-
Die Engländer nennen sie: Pinnacle von dem lateinischen
Pinnaculum, Spitze oder Giebel, hergeleitet. Ein altfranzösischer Aus-
druck ist unbekannt.
i") Nicht grade in Vergleichung mit einem Giganten, sondern
durch Herleitung aus dem gemeinsamen alten Stammworte: Ilisen,
Reisen, sich bewegen oder erheben, das im Englischen noch erhal-
ten ist.