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Der
gothische
StyL
nüchternen Sinnes , sondern ein unmittelbares Ergebniss
des Constructionsprincipes. Der. ganze Bau ging so voll-
ständig aus diesem Prineip hervor, er bildete so sehr
einen in sich zusammenhängenden Organismus, dass er
keine fremdartigen Anfügungen duldete, sondern das Or-
nament, dessen er bedurfte, selbst erzeugte, und den
ganzen Raum erfüllte. Die constructiven Glieder waren
ohnehin so belebt und so bedeutsam, dass sie die Stelle
des Ornaments vertraten. Die Schwingungen der Bögen
und Gurten, die feine Gliederung der Pfeiler beschäftig-
ten das Auge vollauf und erinnerten so sehr an das freie
Leben der Natur und an vegetabilische Formen, dass der
Vergleich mit wirklichen Naturbildungen nur nachtheilig
wirken und die Stimmung, welche sie hervorbrachten,
stören
konnte.
Allein diese Sparsamkeit bezog sich nur auf plasti-
sche Ornamentation, nicht auf den Farbenschmuck.
Auch hier war zwar eine Aenderung eingetreten. Die
grossen Darstellungen heiliger Gegenstände, mit welchen
die Mauern der romanischen Kirchen ausgestattet zu
sein pflegten, kamen hier nicht mehr vor, weil die Wand-
flächen, auf denen sie stehen konnten, verschwunden wa-
ren, aber die Farbe wurde nicht verschmäht, sie wurde,
wie einst in der griechischen Kunst, angewendet, um die
Wirkung der Gliederung zu verstärken. Man gab da-
her den einzelnen Diensten der Gewölbgurten verschie-
dene, nach Maassgabe ihrer Stellung wechselnde oder
symmetrisch wiederholte Färbung, bald einfach, bald mit
einem leichten Muster, wodurch es denn dem Auge leich-
ter wurde die einzelnen Glieder von den benachbarten
zu sondern, und ihre Beziehung zu entfernteren wahrzu-
nehmen. Die Farben, wie wir an den erhaltenen Spuren