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Der
gothische
Styl.
Verhältniss die Phantasie weiter hinausführt, und nach
einem anderen Ruhepunkte zu suchen nöthigt. Auch die
Gleichheit der Pfeiler war der Perspective förderlich;
denn während früher die Verschiedenheit der mittleren
Pfeiler und die grosse Entfernung der gleichgestalteten
dem Auge Hindernisse in den Weg legte, die es über-
springen musste, glitt es jetzt leicht von einem zum an-
dern Weiter, bis es am Kreuzschiffe eine vorübergehende,
in dem stärkeren Anlaufe leicht zu überwindende Unter-
brechung fand. S0 war also auch in der Perspective,
wie an den Gewölben, ein regeres Leben, statt eines gra-
vitätisch pausirenden, ein rascher, rüstig fortschreitender
Gang eingetreten.
Eine weitere Folge dieser Gewölbtheilung war, dass
die Höhe grösser, der Bau schlanker erschien.
Manche Basiliken und romanische Kirchen hatten die-
selbe Höhe wie die grössten gothischen Dome, aber diese
erschienen schlankerii). Der Grund liegt darin, dass die
Wandfelder zwischen den gewölbtragenden Pfeilern Wirk-
lich sehr viel schlanker geworden sind und in ihrer grossen
Zahl und perspectivischen Verkürzung noch mehr so er-
scheinen, und dass sie als die körperlichen Schranken dem
Auge den Maassstab der Höhe geben.
Diesem aufstrebenden Principe gemäss veränderte
sich auch die Bildung der Pfeiler. Die Wandflächen
und die vertretenden Ecken der früheren Pfeiler mussten
fortfallen,
existirte;
umsehen.
weil die Wand, der sie angehörten, nicht mehr
man musste sich daher nach andern Formen
Hier lag es nun nahe, wieder zur Säule, als
z) Die Dome zu speyer, Mainz und Worms, die Sebaldkirehe
zu Nürnberg haben ungefähr dasselbe Verhältniss der Höhe zur Breite
des lliittelschiifs, wie die Dome zu Amiens und Köln, drei zu eins.