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Der
romanische
Styl.
ergriffen und glauben den Rhythmus feierlicher Hymnen
zu hören. S0 wenigstens ist es bei den schönsten Bau-
werken dieses Styls, die freilich nicht in grosser Zahl
vorhanden sind, während in den meisten oder doch in
sehr vielen Fällen die Ausführung hinter dem Gedanken
zurück bleibt. Bald sind die Räume schwach beleuchtet
und schauerlich, bald weit und hell, aber nicht genügend
belebt; dort wirkt eine Ueberfülle schwerer Detailformen
erdrückend, hier finden sich leere, ermüdende Flächen.
Die bedeutsamen Formen, das Würfelkapitäl, die schlich-
ten Cylinder der Halbsäulen, die weithin gespannten Ge-
wölbe geben nicht immer bioss den Eindruck der Feier-
lichkeit, sondern oft auch den eines mühsamen, schwer-
fälligen Treibens. Wir hören nicht immer den Festschritt
der Kirche und den leisen Tritt des Andächtigen, son-
dern oft auch dcn schleppenden Gang des Mönchs im
langen härneix Kleide oder des Ritters unter der Wucht
des Panzers. Wir erkennen in der Pracht des Schmuckes
nicht immer die reine Stimmung des Lobgesanges, son-
dern oft bald die wüste Gedankenverwirrilng des Schwär-
mers, bald die ungeschickten Scherze eines rohen Schü-
lers in seiner Freistunde. Der Geist scheint unter der
Last der grossen Verhältnisse zu ermatten und sich da-
für gelegentlich durch übermüthige Ausbrüche zu erholen.
Diese Mängel finden sich nicht bloss in einzelnen,
misslungenen Werken, sondern in der Mehrzahl, sie lie-
gen offenbar nicht im Gedanken des Styls, aber sie hän-
gen so innig mit dem Geiste der Zeit zusammen, dass
sie sehwer zu vermeiden waren. Daher erscheinen sie
auch, wenn man sich auf diesen einlässt, in milderem
Lichte Jene leeren, unbelebten Wände geben einen
Ausdruck der Bescheidenheit und Einfalt, welche sich