Chiliasmus.
Christus zurückkehren, die jetzige Welt untergehen, den
Sündern ihre Strafe zu Theil werden solle f). Jetzt, da.
das verhängnissvolle Jahr herannahte, wurde diese Pro-
phezeihung auf's Neue erwogen, und Sie fand llüll ill d"
anerkannten Verderbniss eine furchtbare Bestätigung.
Zitternd und zagend, mit unthätiger Verzweiflung oder
mit gesteigerter Bussübung sah das Volk dem letzten
Tage entgegen.
Aber die sichtbare Welt blieb bestehen, nur im gei-
stigen Sinne ging die alte heidnische Welt unter, um
einer neuen christlichen Schöpfurfg Platz zu machen.
Die Furcht verschwand, die Hoffnung hob sich wie-
der, ein Gefühl des Dankes und der Erlösung durchdrang
die Welt mit jugendlicher Wärme. Man wetteiferte in
frommen Werken, wallfahrtete zu heiligen Stellen, stat-
tete Kirchen und Klöster mit verschwenderischer Frei-
gebigkeit aus. Es war, sagt ein Chronist, als ob die
ganze Welt, das Alte abwerfend, das weisse Feierkleid
des Kirchendienstes anlegen wollte ff). Aus der Sünden-
erkenntniss und Bussfertigkeit erwuchs sofort der Keim
des neuen Daseins.
In dieser Zeit entstand der Gedanke, der fortan in
verschiedenen Formen das Mittelalter beherrschte, der
Gedanke, dass das Reich Gottes sichtbar auf
Erden hergestellt werden müsse. Ein geringer Grad
von Weltkenntniss reichte hin, um die Unausführbarkeit
dieses Gedankens, ein massiger Grad von Tiefe , um
eine ungenügende Auffassung des Heiligen darin zu
S. Belegstellen bei Gieseler, Kirchengesch. II. l. 213.
H) Glaber Badolph. c. 4. Erat enim ut si mundus ipse cxcutiendo
semet, rejecta vetustate, candidam ecclesiarum veslem indueret.