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Völlige
Auflösung.
von ihrem Standpunkte mit vollem Recht, den Bruch der
Einheit und die thörichte Freude des Volkes an dieser
Zersplitterung m].
Als das römische Reich unter dem Ansturze der
Germanen brach, blieben grosse Massen in ihrem Ver-
bande und lagerten sich majestätisch umher. Der Zerfall
des jungen karolingischen Staates gab ein ganz anderes
Schauspiel. Hier war der Mörtel zersetzt und eine innere
Kraft schleuderte die einzelnen Steine des Baues Weithin
über die Fläche. Die Welt löste sich in ihre Urbestand-
theile auf. Es gab eigentlich keinen Staat, keine Ord-
nung; jeder stand für sich, der Krieg Aller gegen Alle
war eingetreten. In dieser Verwirrung hatten alle Laster
und Begierden freies Spiel, die Leidenschaft des Einen
rief die des Andern hervor, keiner blieb frei. Selbst der
Kirche und ihres Oberhauptes bemäehtigte sich die wider-
liehste Verderbniss. Es war das völlige Gegentheil
des byzantinischen Reiches; während dort die schein-
bare Ehrbarkeit die Gemüther einschläferte , musste hier
die oifenbare und schamlose Herrschaft der Sünde sie
erwecken. Mit menschlicher Klugheit war hier nichts
gethan, das Uebel war zu gross , um es im Allgemeinen
zu heilen, und selbst die Abwehr im Einzelnen konnte sich-
nicht von Eigenmaeht und Sünde freihalten. Daher ver-
breitete sieh denn das Gefühl der unverbesserlichen
Sündhaftigkeit des menschlichen Geschlechts mehr als
je, und das Bewusstsein der wohlverdienten Strafe erfüllte
die Völker mit nie gekannter Angst. Schon früher hatte
3 man einer Stelle der Offenbarung Johannis die Deutung
gegeben, dass nach dem Ablaufe von tausend Jahren
S0 Florus Diaconus und Salomon, Bischof von Constanz,
Schlosser, Weltgeschichte, Mittelalter Il. l, 455 und .591.
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