Volltext: Geschichte der bildenden Künste im Mittelalter: Das eigentliche Mittelalter (Bd. 4 = [2], Bd. 2, Abth. 1)

Auflösung. 
Völlige 
die innere 
beider. 
N othwendigkeit 
und 
gleiche 
Berechtigung 
Schon der Beginn dieses Umgestaltungsprozesses 
ging nicht von der Kirche, sondern von der weltlichen 
Seite aus. Nichts stand der vollen Durchführung des 
Christenthums mehr entgegen als die Eigengerechtigkeit 
und Gesetzlichkeit der römischen Staatsordnung, und 
dennoch war sie durch dieJahrhunderte zu sehr erstarkt, 
um schnell zu schwinden. Sie überlebte den gewaltigen 
Einsturz des weströmischen Reiches und erhielt sich auf 
byzantinischem Boden neben der eifrigsten christlichen 
Rechtgläubigkeit. Auch Karl der Grosse hatte kein 
anderes staatliches Ideal; auch sein Reich zielte auf jene 
gewaltige Centralisation, welche mit ihrer Machtfülle die 
Freiheit der Einzelnen wie die der Kirche unterdrückt 
haben würde. Aber die Kirche hatte weder Beruf noch 
Neigung dagegen anzugehen; ihre Aufgabe war es, der 
Obrigkeit gehorsam zu sein, und die äussere Ordnung 
schien ihre Zwecke zu befördern. Da musste die Hülfe 
von ganz anderer Seite kommen. Die ger m anrisch e Frei- 
heitsliebe brach das karolingische Reich, lockerte die 
Bande und zerriss sie endlich. Aufruhr und Anmaassung, 
Brüclerkriege und I-Iabsucht wurden zu Mitteln für die 
Zwecke der Weltregierung. Zwar war auch hier ein 
christliches Element mitwirkend; der Begriff geistiger 
Freiheit, der im Evangelium lebt, kam dem altgermani- 
schen Mannessinne zu Statten. Auch nahm die Geist- 
lichkeit allmälig an den Kämpfen Theil und verstand es, 
ihren Vortheil zu wahren. Allein im Wesentlichen War 
die Bewegung eine germanische, und die römisch gebil- 
deten Schriftsteller der Zeit, obgleich Geistliche, beklagen,
	        
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