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Der
romanische
Styl.
fort und brachte nur allmälig die völlige Umbildung des
Alten hervor. Man hat in Beziehung auf die romanischen
Sprachen die richtige Bemerkung gemacht, dass das
Römische eigentlich nur das Material, die WVurzeln der
Wörter, das Germanische aber den Geist, die Redefü-
gungen, die Endungen und Biegungen gegeben habe.
Ganz ähnlich verhielt es sich auch in der romanischen
Baukunst, auch hier war die römische Form der ruhige
Stoff, und nur das Neue ein Erzeugniss der künstleri-
schen Thätigkeit. Indessen war hier das antike Element
noch schwächer, als in den Sprachen, so dass es seine
volksthümliche Bedeutung ganz verlor, und nur in seinen
allgemeinen, vielen Völkern zusagenden Grundformen
Wirksam blieb. Die Eigenthümlichkeit diesesStyls, im
Gegensatz gegen den gothischen, besteht also eigentlich
darin, dass das gemeinsame Ideal sich noch nicht ein
eigenes Ccnstructionsprincip geschaffen hatte,
sondern sich an den alten herkömmlichen Formen geltend
machte. Es war noch werdend und sehwankend, mehr
eine Gesinnung oder Geschmacksrichtung, als eine be-
wusste Kunstregel, hatte dafür aber den Vorzug höchster
geistiger Frische und Unmittelbarkeit. Darin liegt
denn auch der Grund, dass dieser Styl eine grosse
Mannigfaltigkeit der Formen umfasst, die von lo-
calen und individuellen Zufälligkeiten, von dem Vorherr-
sehen entweder der Ueberlieferung oder des neuen Be-
wusstseins und von dem rascheren oder langsameren Fort-
schreiten in verschiedenen Gegenden abhängt.
Diese, man kann wohl sagen, unerschöpfliche Man-
nigfaltigkeit einzelner Detailformen und Combinationen
bildet den Genuss des Forschers, der stets Neues, Ueber-
raschendes, oft eine Fülle von Kraft und Naivetät findet;