Der
Grundriss.
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Formen zu ergänzen und zu ersetzen, war die Aufgabe
des romanischen Styls, die er bald genial bald phanta-
stisch löste, immer noch mit einer Rücksicht auf antike
Formen oder doch auf das antike, steingemässe Bildungs-
gesetz. Im gpthischen Style war diese Rücksicht über-
wunden, ein neues eignes Princip errungen, das er kühn
und mit Selbstbewusstsein zur vollständigen immer rei-
chern Anwendung brachte.
Aber nicht bloss die allgemeine T endenz, auch die
F ormen beider Style waren vielfach dieselben, die Ver-
wandtschaft ist nirgends zu verkennen, sie scheiden sich
in gleicher Weise von den altchristlichen Formen.
Bertrachten wir zuerst den Grundriss, so finden
wir ihn in beiden Stylen in derselben charakteristischen
Gestalt des Kreuzes, und zwar des s. g. lateinischen
Kreuzes, an welchem der vordere Arm länger ist als die
andern. Man darf nicht glauben, dass der symbolische
Gedanke, die Kirche auf das Kreuz, auf das Leiden
Christi, zu gründen, hier bestimmend gewesen sei; wäre
dies der Fall, so würde man gesorgt haben, dass die
Kreuzform mehr insAuge fiel; auch hätten, wenn man eine
Nachahmung des wirklichen Kreuzes bezweckte, die
Querarme länger gebildet werden müssen als es geschah.
Für diese Symbolik genügte die Einsenkung eines
Kreuzes oder kreuzförmig gelegter Steine bei der Grund-
Steinlegung Jene Kreuzgestalt der Kirchen war viel-
mehr ein Erzeugniss des architektonischen Bedürfnisses
und zwar ein sehr wichtiges. Die Basilika bestand
S0 bei Gründung des Merseburger Doms: Heinricus llllßtllßr
la-Pides in modum sanctae orucis in fundamento primitus jaciens.
(Chron. Episc. Mers. p. 357 bei Lepsius in den Neuen Mittheilungen
des Thür. Sächs. Vereins 1:342).