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Architektur
des
Mittelalters.
höchst verschiedene Nationen umfasste, dennoch das
Räumliche untergeordnet. Zwar findet sich eine grosse
Mannigfaltigkeit der Formen, und das klimatische Element
hat wohl einigen Einfluss darauf, aber Persönlichkeiten
und andre Zufälligkeiten wirken noch stärker ein und die
Variationen sind zu schwankend, um sich zu Gattungen
zu gliedern. Hier wie auch sonst in der Geschichte des
Mittelalters ist das Mittelglied zwischen demAllgemei-
nen, der ganzen Christenheit angehörigen, und dem
völlig Individu ellen schwer zu entdecken.
Dagegen finden sich verschiedene Baustyle d er
Zeit nach aufeinanderfolgend, die Bauten der verschie-
denen Perioden unterscheiden sich in allen Ländern fast
in gleicher Weise, der Fortschritt ist ein gemeinsamer.
Die Christenheit bildete auch hier ein Ganzes; sie hatte
sich von dem Haften an der Nationalität losgesagt, sie
strebte nach dem Vollkommenen mit Bewusstsein, und
dies Bestreben vereinigte die Länder. Dazu kam, dass
das architektonische Ideal, welches dem Geiste vor-
schwebte, ein höchst künstliches war und eine schwie-
rige Struetur in Anspruch nahm; man musste nach Mit-
teln suchen, und ergrilf gern, was in andern Ländern ge-
funden wurde. Das Grundprincip des jedesmaligen Styls
ist daher allen Völkern des christlichen Verbandes
gemeinsam; die klimatischen oder historischen Eigen-
thümlichkeiten verbergen sich dem Auge, wenn sie mit
diesem Princip harmoniren, und treten nur dann hervor,
wenn dies Weniger der Fall ist, also meistens als Incon-
sequenzen oder Unvollkommenheiten. In gewissem Sinne
hat jedes Land seine besondere Baugeschichte, weil in
jedem die verschiedenen Formen bald früher bald später,
bald durch ursprüngliche Erzeugung bald durch Mittheilung