Historische
Gliederung.
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Daher wandten sich dieser Kunst, so wenig die Jahr-
bücher davon melden, die edelsten Kräfte zu und mach-
ten sie allmählig zur grössten Erscheinung ihres Zeitalters
und zu einer der bedeutendsten der Kunstgeschichte,
wenn nicht der Geschichte überhaupt.
Diese Bedeutsamkeit zeigt sich auch schon in ihrer
historischen Gliederung; während die Baukunst der mei-
sten Völker ein kurzes, zwischen dem Werden und dem
Verfall einförmig hiniliessendes Dasein hat, entwickelt
sich die des Mittelalters, wie einst die griechische, zu
einem reifen Leben mit verschiedenen Gattungen und
Stylen von eigenthümlichem Charakter. Schon hier aber
zeigt sich ein charakteristischer Unterschied zwischen
diesen beiden hervorragenden Perioden der Kunst. Bei
beiden kreuzen sich zwar das geographische und
das chronologische Element, aber hier ist dieses,
dort jenes vorherrschend. In der griechischen Kunst reprä-
sentiren die Baustyle zunächst die Verschiedenheit der
Volksstämme und ihrer Wohnsitze, in der des Mittelalters
zunächst die Entwickelungsstufen. Zwar ist auch in der
griechischen Architektur das Chronologische nicht zu
übersehen; eine dunkle Vorzeit ging dem dorischen und
ionischen Style voraus, und der korinthische blühete erst,
als der dorische seine schönste Epoche hinter sich hatte.
Allein dieser chronologische Unterschied ist unbedeutend
und verschwindet, weil alle drei Style sich später in
gleichzeitiger Geltung erhielten; sie erscheinen wie Brü-
der derselben Familie. Dagegen ist im Mittelalter, ob-
gleich die geographische Basis so sehr viel breiter war,
und nicht bloss, wie dort, einzelne Stämme derselben
Sprache unter gleichem Himmelsstriche, sondern ganze
durch Stammesmischung und klimatische Verhältnisse