Volltext: Geschichte der bildenden Künste im Mittelalter: Das eigentliche Mittelalter (Bd. 4 = [2], Bd. 2, Abth. 1)

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Vorrang 
der 
Archite ktur. 
welche wahren Kunstwerken 
Mittelalter selbst im tiefsten 
eigen ist, und welche das 
Grunde des Bewusstseins 
empfand. Der Musik "fehlte schon die theoretische Grund- 
lage, die nur durch feine, wissenschaftliche Beobachtung 
der Natur und durch mathematische Studien erlangt 
werden kann; sie haftete an den antiken Ueberlieferun- 
gen, die doch für den Ausdruck des christlichen Gefühls 
unzureichend waren. Ihr fehlte aber auch die geistige 
Grundlage, die Reife und Freiheit des Gemüths, welche 
es ermuthigt, seine innersten, dem Worte versagten 
Empfindungen in Tönen auszuhauchen; sie kani daher 
über die Extreme kirchlicher Feierlichkeit und eines ge- 
waltsamen, rohen Gefühlsausdruckes nicht hinaus. Auch 
der Malerei und Plastik stand nicht bloss die unvoll- 
kommene Kenntniss der Natur, sondern noch vielmehr 
der Mangel einer festen Sitte, welche vollkommene Ent- 
wicklung des Charakters und den Ausdruck des Seelen- 
lebens in der äussern Erscheinung gestattet, entgegen. 
Die Arc h i t e ktu r konnte alle diese Erfordernisse entbehren 
und hatte neben diesem negativen Vorzuge den positiven, 
dass alle Eigenschaften der Zeit ihr zu Statten kamen, 
auf sie hinwiesen. Sie konnte jenes perspectivische Bild 
des Universums darstellen, das der frommen Anschauung 
vorschwebte; sie sprach den mystischen Gedanken aus , 
ohne die Realität der Dinge zu verletzen, gab eine grosse 
Encyklopäflie Ohne Oberflächlichkeit und Willkür; sie 
löste die Aufgabe, atomistische Stoffe zu einer Einheit zu 
verschmelzen, mit grösserm Glücke als Staat und Kirche, 
ihr war es gegeben, individuelle Glieder leicht in allge- 
meiner Ordnung zu verbinden. In ihr fanden der klare 
Verstand dei-Scholastik, das tiefe, dunkle Gefühl, die kühne 
Phantasie ungehemmte und harmonische Wirksamkeit.
	        
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