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Das
Universum.
umsomehr einen Schein äusserer Festigkeit und sinnlicher
Gewissheit. Diese fehlerhafte Eigenschaft des Denkens
hing mit einer Thätigkeit der P h a n ta si e zusammen, welche
während der Arbeit des Gedankens die Vorstellung von
sinnlichen Dingen und von geistigen Wesen unterschob.
Mehr als an allem Andern können wir hieran die gei-
stige Eigenthiimlichkeit des Mittelalters erkennen und uns
die innere Ruhe und Einheit der Gemüther erklären. Die
Seelenkräfte, so gesteigert ihre Aeusserungen waren, hingen
doch noch innig zusammen; die vermittelnde Phantasie
theilte dem Verstande etwas von der Frische und Kraft
des
Gefühls ,
dem
Gefühle
etwas
VOll
Feinheit
der
des
Verstandes mit. Die Gedanken verkörperten sich zu er-
scheinenden Gestalten, die wirklichen Dinge verflüchtig-
ten sich zu idealen Erscheinungen. Die Gegensätze des
Geistigen und Sinnliehen, die im Leben weit auseinander
gingen, liefen im tiefsten Grunde der Seele zusammen,
sie gaben für die Anschauung nicht parallele Reihen, die
sich unberührt lassen, sondern divergirende Linien, die
gerade deshalb im äussern Leben durch einen weiten
Raum getrennt schienen, weil sie in ihren tiefsten Wur-
zeln zusammenhingen. Daher war denn innerlich Frie-
den, Während äusserlich der Kampf tobte; das Auge des
Glaubens sah jenseits der Nebel sündlicher Verwirrung
die Welt als das Werk Gottes ruhig vor sich ausgebrei-
tet, Erde und Himmel als das Spiegelbild göttlicher Ei-
genschaften, und die Engel des Herrn niedersteigen, um
seine Beschlüsse auszuführen und selbst die Sünde sei-
nem
Willen
dienstbar
zu machen.
Aus
diesem
Glauben
und aus der geistigen Anlage, auf welcher er beruhte,
ergab sich die Freudigkeit und Sicherheit, das WVohlgefühl,