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Personificationen.
heidnischen Flussgötter und ähnliche mythologische Fi-
guren des Alterthums in gewissen Darstellungen beibe-
hielt. Diese betrachtete man natürlich nur als Zeichen,
011118 Glauben an ihre Realität, aber dennoch erscheinen
sie weniger matt und erzwungen wie ähnliche dichte-
rische Figuren in späteren Werken. Sie reihen sich
jenen andern Personiiicationen an und werden mit ihnen
von der gläubigen Stimmung des Zeitalters getragen.
Daher nahm man denn auch keinen Anstand, allegorische
Gestalten mit völlig historischen oder wahren, z. B. die
Natur, die Vernunft, die Tugenden und Laster, die sieben"
Künste, die Theologie und andre Personiiicationen mit
dem Schöpfer und Christus redend und handelnd in un-
mittelbare Beziehung zu bringen i).
In der That war die Kluft zwischen jenen erdachten
und diesen historischen Gestalten nicht so gross; der
Dämmerschein des Ungewissen umgab mehr oder weni-
ger die einen wie dieandern. Gott, Engel, Teufel und
Dämonen, so fest man an ihre Realität glaubte, waren
wenigstens nicht in gemeiner grober Körperlichkeit zu
denken. Christus, die Jungfrau, die Apostel und Evan-
gelisten, die Propheten und Könige des alten Testaments,
die Heiligen Wurden zwar in der Hülle ihres irdischen
Leibes, die sie einst getragen, gedacht und dargestellt,
aber (10611 mit dem Gefühle, dass sie jetzt selige Him-
melsbewohner, in dem Zustande der Verklärung und Un-
verweslichkeit, geistige Wesen, wie die Engel, seien. Dies
litt auch keine Beschränkung, wenn diese Heiligen der
In dem berühmten unter dem Namen Anticlaaldianus bekann-
ten allegorischen Gedichte des Alanus ab Insulis (1114-1202). In
der prosaischen Vision desselhenVei-fassers: De planctu naturae kom-
men ähnliche Allegorien vor (Opp. ed. de Visch. 1654.).