Reim
und
Farbe.
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Der Reim der karolingischen Zeit und selbst des
spätem Mittelalters ist meistens nur in dieser Beziehung
angewendet. Nach den ersten Versuchen Ottfrieds schritt
die Ausbildung der deutschen Sprache keinesweges rasch
vor, während die romanischen Sprachen erst viel später
hervortraten. Zwar machte sich der germanische Sinn
nun auch im Lateinischen geltend und auch der Reim
wurde in ihr fast durchgängig angewendet. Allein in
der gealterten, todten Sprache war an ein Herausheben
der Bedeutung nicht zu denken, höchstens als Wortspiel
oder als Antithese (also grade durch den auffallenden,
aber meistens zufälligen Gleichklang des Nicht-verwand-
ten) kommt eine Rücksicht auf die Bedeutung vor. Bis
zu dem Ausdrucke der Stimmung erhoben sich aber diese
lateinischen Dichtungen nicht; nur bei geistlichen Liedern,
und meistens auch da nur aus der spätem Zeit des Mit-
telalters findet man dies, und zwar oft in grosser Schön-
heitii); in der Regel dagegen liegt dem Reime bloss eine
kindische Freude an dem Klingeln der Worte zum Grunde,
es ist die erste Regung eines musikalischen Sinnes.
Auf ganz ähnlicher Stufe finden wir denn auch den
Farbensinn in den Werken des frühen Mittelalters. An
den einzelnen dargestellten Gegenständen ist die Farbe
schwach und weit entfernt von tiefem: Ausdrucke; noch
weniger ist an eine künstlerische Behandlung des Far-
bentons ganzer Bilder zu denken. Dagegen ist in den
i") Die lateinische Sprache, obgleich für mannigfaltige Anwen-
dung des Reimes nicht passend, eignet sich vortrefflich für das Kir-
chenlied; der Feierlichkeit, dem (Bewältigen, Uebermächligen sagen
ihre vollen Vocale wohl zu, und selbst die wiederkehrenden Flexions-
endungen sind diesem Ausdrucke günstig, wie das volle, weite,
schleppende Kleid dem ernsten Feste. Andrer Meinung ist, vielleicht
in allznweilgetriebener Consequeuz, Poggel a. a. 0. S. 122.