Reim
und
Farbe.
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eine musikalische nennen müssen, weil sie die Aeusse-
rung eines Geistigen und Individuellen im Reiche der
Zeit und des Tones ist. Auch die Länge und Kürze der
Sylben hängt, jedoch nur in den Stammsylben, mit dem
Klange und der Bedeutung zusammen, bei der grammati-
schen Biegung und in der Zusammensetzung mehrerer
Wörter geht aber diese Beziehung völlig verloren; für
das Metrum ist daher jene Klangbedeutung des Wortes
ganz gleichgültig, die Wörter werden wieBausteine im
Ebenmaasse aneinander-gefügt. Im Reime dagegen tritt
das Individuelle des Lautes deutlicher hervor, es wird
durch die Wiederholung herausgehoben. Ist nun auch
in einer entwickelten Sprache die Zahl der bedeutsam
klingenden Worte nicht so gross, dass an diese Beziehung
bei jedem Reime gedacht werden könnte, so wird doch
dies musikalische Element der Rede in der gereimten
Poesie vorzugsweise erhalten, und der Reim wird dem
Dichter ein Mittel, durch die Art und den Wechselder
Klänge die Wortgebiete, in welchen sich seine Gedanken
bewegen, und dadurch die Stimmung, aus Welcher das
Gedicht fliesst, auszudrücken?) Es ist nun bemerkens-
werth, dass in der deutschen Sprache dies Bedeutsame
des Lautes vorzugsweise gefunden wird; noch jetzt, nach
den Einwirkungen so vieler fremdartiger Elemente, ist
unsere Sprache reich an Wörtern, deren Klang bezeich-
nend ist. Sie war daher für die Anwendung des Reimes
besonders geeignet.
Ganz ähnlich verhält es sich auf dem Gebiete der
bildenden
Kunst
mit
der
Farbe.
Auch
sie
ist
an
den
Dingen charakteristisch, der höchsten Mannigfaltigkeit
i") Feine Bemerkungen in dieser Beziehung giebt die sehr be-
achtenswerthe Schrift von Poggel: Grundzüge einer Theorie des
Heimes und der Gleichklänge, Münster 1836.